Die Erinnerungen zogen mich mit sich, als wären sie der Wagen einer Achterbahn, in den ich einstieg. Es gab kein Zurück mehr, nur noch den Weg nach vorne. In welche Höhen er mich auch führen, in welche Tiefen er mich auch stürzen würde. Sie flogen Schlag auf Schlag in mein Bewusstsein: Als er auf meinem Balkon aufgetaucht war, mich in diese fremde Welt führte. Mir von einer Aufgabe und meiner wahren Herkunft erzählte. Was auf dem Weg passiert war. Von Lihambra, meiner Heimat. Ich dachte an Olivia und Sophie. Und schließlich an meine Rückkehr hierher, ein hartes Aufschlagen an einer unsichtbaren Wand, an die der Wagen prallte. Und zerschellte, während ich aus dem Gefährt geschleudert wurde. Im Abseits aufschlug. Doch nun saß ich wieder dort, wo ich hingehörte. Die Fahrt ging weiter.
All das war Realität. Ich wusste es so sicher, wie ich mich selbst wahrnahm. Meine Gedanken rasten unaufhörlich auf der Achterbahn, während ich spürte, wie einzelne Erinnerungen aus der Ferne ein Erdbeben auslösten, das die Attraktion in einen Abgrund stürzen ließ. Sie wurde mit mir in einen Spalt gezogen, der sich auftat, begrub mich unter der Erde. So vieles. So Unglaubliches.
Sophie, die sich an nichts erinnerte. Olivia, die allem Anschein nach von einem Gott umgebracht worden war. Als ich daran dachte, was Arokin getan hatte, erstickten sie mich fast.
Aber nur fast. Die Verbindung mit Asir bewahrte mich davor. Das Leuchten seiner Augen war ein Wegweiser, dem ich einfach folgen musste, um wieder an die Oberfläche zu kommen. Er führte mich aus der Finsternis. Ich konnte wieder atmen, holte tief Luft. Stieß sie aus. Wenn auch zittrig.
Er war näher gekommen. Ich musste den Kopf heben, um den Blickkontakt zu halten, unterbrechen wollte ich ihn um keinen Preis. Sein Atem streifte meine Haut, hinterließ eine angenehme Gänsehaut.
Eine kurze Bewegung, mehr trennte uns nicht mehr körperlich voneinander, während wir uns innerlich schon vor langer Zeit verbunden hatten.
So wenig, dennoch lagen Welten zwischen uns. Ich blinzelte. Auf einmal waren meine Augen trocken. Es kostete große Anstrengung, mich von seinem Blick zu lösen. Ich musste es tun.
Nervös tippte ich mit meinen Zeigefingern auf meine Daumen, wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Auf der einen Seite war das hier das, was ich wollte. Andererseits war die Differenz zwischen uns zu groß. Das, was er war, gegen das, was ich war. Es konnte nur in einer weiteren Tragödie enden, sagte ich mir. Das verkraftete ich nicht.
„Erinnerst du dich jetzt wieder? Lihambra und alles, was du gesehen hast, ist wahr!" Das Flehen in seinem Blick war für mich schwer zu ertragen. Als könnte er meine Erinnerungen beschwören, wenn er mich nur mit dem richtigen Gesichtsausdruck ansah. Ich schluckte schwer, leckte mir schnell über die Lippen. Hielt inne. War mir seiner Gegenwart so bewusst, als würden wir uns berühren. Machte einen Schritt.
Zurück.
Noch einen. Einmal damit angefangen, war es einfach.
Ich nickte. „Ja. Ich erinnere mich." Ich blinzelte erneut, machte einen weiteren Schritt zurück, bevor ich gegen die halb geöffnete Haustür stolperte. „Ich bin gestorben! Und habe alles vergessen!" Die Worte hingen irgendwo zwischen Enttäuschung, Wut und völliger Euphorie.
Ich fasste halb blind nach der Tür, schlug sie zu. Wenn ich nur in der Lage wäre, alles andere genauso leicht auszusperren. Das ging nicht. Nicht mehr. Dabei wollte ich erstmal in Ruhe verdauen, was eben auf mich eingeströmt war. In diesem Moment wusste ich nicht, was schlimmer war: Das alles, was passiert war, oder, dass ich es einfach so vergessen hatte.
Doch ich hörte nicht, wie die Tür ins Schloss fiel. Stattdessen sah ich einen Fuß, der sich im letzten Augenblick dazwischenschob. Vielleicht war es doch nicht so einfach.
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Lihambra - Geheimnis der Raben
ФэнтезиSarah hat es in ihrem Leben nicht leicht. Nach dem Tod ihrer Schwester wird sie immer wieder von der Trauer eingeholt. Aber all das rückt in den Hintergrund, als wenige Tage vor ihrem Schulabschluss ein neuer Schüler in die Klasse kommt. Zeitgleich...