-16- Von Blindheit und Pistolen II (zensiert)

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Ich sah mich selbst aus den Augenwinkeln auf dem Boden liegen. Über mir ragte ein Mann auf, der nun in die Hocke ging. Ich wollte schreien, doch ich hatte keine Zeit dafür. Nicht ich. Asir. Seine Worte bildeten solch lebendige Bilder in meinem Kopf, dass es mir vorkam, als wäre ich dabei gewesen.

Ich musste einen Schlag meines Gegners parieren und spürte die Präsenz einer weitere Person in meinem Rücken. Kommt schon, worauf wartet ihr?, fragte ich mich. Der Schmerz in meinem Rücken, der von einer Schusswunde stammte, breitete sich nun stechend in meinem ganzen Körper aus. Das Schwert in meiner Hand schien Tonnen zu wiegen. Es fiel mir langsam immer schwerer Luft zu holen, fast als stünde ich in einem Sturm und musste gegen diesen unsagbaren Widerstand atmen. Ich konnte mir nicht erlauben, auch nur eine Sache davon näher wahrzunehmen.

Der Himmel verdunkelte sich. Aber nicht, weil eine Wolke aufzog, sondern ein großer Schwarm Raben. Hunderte Flügel raschelten in der Luft, ein krächzender Chor war im Anflug. Endlich! Meine Freunde und ... eine Welle tiefsitzender Trauer drohte mich zu überrollen. Ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Fast wäre ich eingeknickt. Aber genauso wenig wie mir die Knie nachgaben, ertränkte mich diese riesige Welle aus Gefühlen.

Statt mich von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen, drehte ich mich und trieb dem zweiten Angreifer, einem Mann, der zerzauste Haare hatte und kleiner war als ich, mein Schwert in die Brust. Überrascht riss er die Augen auf, gleichzeitig gab er einen leisen erstaunten Laut von sich. Er erstarrte mitten in dem tödlichen Schlag, den er gerade gegen mich ausführen wollte. Er war sich seiner Sache so sicher gewesen. Ich verabscheute meine Tat. Aber ich hatte keine Wahl. Es hieß er oder ich. Ich zog das Schwert wieder heraus. Der Mann sank langsam zu Boden. Ich musste meine Aufmerksamkeit nicht länger an ihn verschwenden.

Madira und mein erster Gegner hielten inne und blickten nach oben. Sie ließ ihr Schwert fallen, als sich ein Rabe auf meine Schulter setzte. Die Pistole folgte ihr kurz darauf ins Gras, genauso wie ihr Blick.

Ihre Stimme war leise und von Ehrfurcht erfüllt, ihre Haare fielen ihr ins Gesicht. „Ihr reist im Schutz der Götter?"

Weder der innere noch der äußere Schmerz hatten nachgelassen. Am liebsten wäre ich zusammengesunken, aber ich wusste, dass ich mir das nicht leisten konnte. Auch der Kampf zwischen Arokin und den anderen war zum Erliegen gekommen. Als hätte die Ankunft der Raben etwas verändert. Nein, nicht nur so als ob. Sie hatte etwas verändert.

„Vergebt mir! Wir haben nur Befehle ausgeführt." Sie kniete sich nieder, dabei hielt sie den Blick weiterhin gesenkt. Die anderen standen noch immer da. Sie starten in den Himmel, als könnten sie es nicht glauben.

„Wenn ihr sie umgebracht habt, ist Vergebung unmöglich." Ich musste meine Stimme dazu bringen, fest zu klingen Es fiel mir unsagbar schwer, trotz der Verzweiflung, die sich in mir breitmachte.

Arokin kam auf mich zu. Ich wandte mich in seine Richtung. Am liebsten hätte ich ihn an den Ort geschickt, an den er Sarah und Sophie gebracht hatte. Inzwischen waren die anderen Rischkas ihrer Anführerin auf die Knie gefolgt.

„Geht jetzt, bevor ich es mir anderes überlege. Mein Problem liegt nicht bei euch!" Ich ließ ihn nicht aus den Augen, während ich zu ihr sprach. Dann wandte ich mich mit meinen Worten an meinen Bruder. „Das sind Auftragsmörder. Sie handeln nicht, ohne eine Anweisung. Früher hat Khori sie gegeben, dann Madira." Bei seinem Namen durchfuhr mich die Erinnerung daran, wie wir ihm das Leben ausgehaucht hatten. Große Macht führte zu solcherlei Versuchung. „Aber du! Du hast sie hierhergeführt! Zu uns!" Die Rischkas rannten davon.

Er hob die Hände beschwichtigend. Fast so, als wollte er mit seiner Gestik ein wildes Tier beruhigen. Doch sein aufgebrachter Tonfall passte nicht dazu. „Vielleicht habe ich das. Vielleicht habe ich auch in ihrer Welt die Menschen verschwinden lassen. Vielleicht habe ich sie allein auf dem Schiff gelassen. Vielleicht bin ich an Sophies Tod schuld, auch, wenn ich sie nicht vergiftet habe. Aber diesen hier kannst du mir nicht anhängen."

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt