-26- Von Wahrheit und Soße II

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Es klopfte erneut. Ein dumpfes Pochen.

Als ich Sabines Blick zum Fenster folgte, vernichtete ich den Gedanken, der mir eben gekommen war. Es hatte etwas zu bedeuten. Es war ein Rabe, der draußen saß und gegen das Glas hämmerte.

Noch beunruhigender fand ich das, was ich nun beobachtete. Sabine und der Vogel starrten sich gegenseitig an. Ich war mir sicher, wenn die Welt um sie herum untergegangen wäre, sie hätte es nicht bemerkt. Sie schien nichts anderes mehr wahrzunehmen als den Raben, der sie ansah. Wie hypnotisiert.

Bob und Thomas schienen ihn nicht zu bemerken. Sie schenkten unserem Besucher keine Beachtung.

Asir und ich aber sehr wohl. Eine finstere Energie ging von ihm aus, flutete durch den Raum, an uns vorbei wie ein dunkler Schatten. Unbehagen erfüllte mich. Ich wollte weg hier. Mich umdrehen, aus der Tür rennen und nie wieder zurückkehren. Entkommen. Ich tat es nicht.

Sabine wandte sich uns zu, während der Rabe davonflog. Irgendetwas war zwischen ihnen geschehen.

„Und jetzt hast du dasselbe vor, mit dem Einzigen, das mir von ihr geblieben ist. Das lasse ich nicht zu! Wäre ja noch schöner!" Sabine sprang von ihrem Stuhl auf, so schnell, dass er fast umfiel.

Sie rannte zur Anrichte, ließ ihren Blick über den Messerblock schweifen. Zog eines der Messer. Kam mit nach vorne gerichteter Klinge auf uns zugelaufen.

Ich wusste, Asir und ich hatten trainiert. Für genau so einen Fall. In diesem Moment war mein Wissen auf einem anderen Kontinent, tausende Kilometer Luftlinie von mir getrennt. Ich erinnerte mich an nichts mehr. Sie sah mich abfällig an, und ich wusste, ich wäre ihr von meiner Seite aus schutzlos ausgeliefert.

Wie ich merkte, galt ihr Interesse nicht mir. Sie musterte mich einmal von Kopf bis Fuß, als würde sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben sehen und versuchen, mich einzuschätzen. Schließlich richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Asir. Sie kam näher. Einen Schritt vor ihm blieb sie stehen. Die Klinge, die locker in ihrer Hand ruhte, war ein unheilvolles Versprechen, das einzig und allein ihm galt.

Kurz hatte ich Angst, dass sie ihm etwas antun würde. Schnell kam es mir lächerlich vor. Sie war nicht in der Lage, ihm tatsächlich wehzutun.

Oder doch?

Was, wenn sie auch kontrolliert wurde? Würde ich mich gegen sie verteidigen können, wenn ich sicher war, dass das hier gar nicht sie war? Aber es blieb ihr Körper, den ich schädigte.

„Was machst du da?", fragte mein kleiner Bruder. Seine Stimme überschlug sich parallel zu den Ereignissen um ihn herum hoffnungslos. Thomas rührte sich noch immer nicht. Er war eine regungslose Säule, die nichts stützte. Nutzlos.

Asir und ich blieben ungerührt stehen. Er blinzelte auf Sabine herab.

„Mache nichts, das du später bereuen könntest." Asirs Stimme klang entspannt. Seine Körperhaltung war es nicht. Ich spürte seine Anspannung, er war bereit zu handeln, sollte es notwendig werden.

Und ich? Wusste noch immer nicht, was ich tun sollte. Ich war zu schockiert. Dass meine Mutter so weit ging, hätte ich niemals gedacht.

Sabine fing hysterisch an zu lachen. „Das habe ich nicht. Habe ich nie!"

„Setz dich wieder", Thomas stand langsam auf, blieb aber, wo er war.

„Die Geschichte wird sich nicht wiederholen. Sie bleibt hier!" Mit diesen Worten führte sie das Messer an seinen Hals. Er hob den Kopf ein wenig.

Ich erkannte es, als ich sie näher ansah. Diese Augen. Es war nicht sie. Ein leichter Hauch von Blau lag ihn ihren Iriden, das ich bereits oft gesehen hatte.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt