„Disse ist daheim, du kannst rübergehen. Er freut sich auf dich", teilte mir meine Mutter etwas später mit. Meine Laune verbesserte sich schlagartig und ich ging ins Bad, um mich bisschen zu schminken und um aus meinen Haaren einen lockeren Dutt zu machen. Danach zog ich mir eine Jogginghose und einen engen Pullover an, schnappte mir meine Nike Tasche und lief los. „Tschau", rief ich meiner Mutter noch schnell zu und schon war die Türe hinter mir ins Schloss gefallen.
Vor Disses Wohnung blieb ich stehen, schaute kurz noch auf die Uhr und dann klingelte ich. Nach kurzer Zeit öffnete er und freute sich richtig, mich zu sehen. Er nahm mich hektisch in die Arme und ich hatte das Gefühl, als wolle er mich nie wieder loslassen. „Gerade ist alles scheiße", meinte ich zu ihm und irgendwann gingen wir dann in sein Wohnzimmer. Er setzte sich gleich wieder hin und legte sein Knie hoch. „Kann ich irgendwas für dich tun?", fragte ich fürsorglich. „Ja, ich hätte gerne einen Tee". Zuckersüß lächelte er mich an. Also machte ich mich gleich auf den Weg in die Küche und als ich etwas länger über den Tee nachdachte, kam ich ins Zweifeln, ob das wirklich die richtige Aufgabe für mich war. Ich musste an heute Morgen denken. Ich wollte ihm kein Pfefferminztee mit Kaffee servieren. *Reiß dich einfach zusammen, Lia*, sagte mir mein Unterbewusstsein. Konzentriert ging ich also an die Sache ran und bereitete mir ebenfalls einen vor. Ein kurzer Geschmackstest – puhh. Geschafft! Zufrieden ging ich wieder ins Wohnzimmer zurück und stellte die Tassen auf dem Couchtisch ab. „Danke", lächelte Disse und nahm einen Schluck. „Lecker", behauptete er anschließend. Erneut atmete ich erleichtert aus und erzählte von heute Morgen. „Kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen", lachte Disse ironisch. Er kannte mich einfach. Entschuldigend hob ich die Hände und schmunzelte ebenfalls über mich.
„Kann ich noch was für dich tun?", fragte ich kurz drauf nochmal nach. Ich merkte, dass er mir etwas sagen wollte, aber er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte. „Sag es einfach wie du denkst", gab ich ihm einen Tipp. Er nickte: „Kannst du nochmal mit Jenny reden, also wegen gestern, ich... also, hat sie über reagiert?".
Fuck, Disse wusste es noch gar nicht!! Oder doch? „Hast du danach nochmal was von Jenny gehört oder weißt du es gar nicht?". „Hä was? Nein, danach haben wir nicht mehr geschrieben. Aber: Was weiß ich noch nicht?"
Disses Sicht
Langsam bekam ich Angst. Lia wusste etwas von Jenny, was ich noch nicht wusste. Will sie sich etwa doch von mir trennen? „Lia, sag endlich", forderte ich und merkte dabei, wie sie immer mehr versuchte mit ihren Tränen zu kämpfen. „Nicht weinen, komm mal her", meinte ich ruhig, auch wenn es innen in mir alles andere als ruhig aussah. Sie krabbelte rüber zu mir und legte sich in meine Arme. So lag ich auch schon oft mit Jenny da. „Sie...sie ist nach... nach, ich kann nicht". Jetzt brach sie in Tränen aus und ich konnte bedauerlicherweise nicht mal aufstehen, um ihr ein Taschentuch zu besorgen. Ich drückte sie ganz fest an mich heran. „Lia, pssscht, was ist denn, wohin ist Jenny?". Plötzlich schaute sie mich mit riesengroßen Augen an. „Fuck, man, sie ist in Kanada!", schrie sie mich an und weinte noch lauter weiter.
Auf einmal nahm ich um mich herum nichts mehr wahr. Alles kam mir vor, wie in Zeitlupe. Unfassbar wiederholte ich die Worte: „Ka-na-da?!". Ich glaube, mir rannen ebenfalls die Tränen stumm die Wangen hinunter. „Einfach gegangen", jammerte Lia und ich konnte mich so in sie hineinversetzen. Jenny war ihre beste Freundin. Mit ihr konnte sie über alles reden. Sonst hatte sie ja nur Kontakt mit männlichen Personen und jetzt ist Jenny einfach weg. Etwa für immer? „Abgehauen. Für ein Jahr!", presste sie hervor und drückte wieder ihren Kopf an meine Brust.
Langsam kam Struktur in meine Jenny, hört sich komisch an, war aber so. Sie hat mir schon immer vorgeschwärmt, das sie gerne ein Auslandsjahr, am liebsten in Kanada machen würden, da sie sich gerne auch in Englisch verbessern würde. Sie meinte immer, dass wenn der richtige Zeitpunkt da sei, sie es durchziehen will. Und der war jetzt anscheinend da. Hat sie dabei überhaupt an mich gedacht? Sieht nicht so aus. Will sie überhaupt, dass ich mich noch melde? Ich kann sie jetzt aber auch nicht so einfach schnell mal vergessen. Also das geht gar nicht. „Lia?". „Ja?". „Hat Jenny irgendwie mich nochmal erwähnt?". Sie schüttelte den Kopf.
Wieso? Wieso ist sie so? Das kenne ich überhaupt nicht von ihr! Jenny? Wieso Jenny?
„Dein Handy klingelt", wies Lia mich auf einmal hin. „Was?", fragte ich abwesend, ich bekam es überhaupt nicht mit. „Geh ran", sagte ich zu ihr. Sie nickte vorsichtig und nahm etwas zögerlich ab. „Ja... ne, der kann grad nicht... achso, oh, tschudigung... ja, ich sage es ihm... OK... ja, bis gleich... darf ich mitkommen?... Super, danke". Dann legte sie auf und ich schaute Lia wieder an. „Wer war das?". „Euer Mannschaftsarzt. Du hast die MRT Untersuchung heute vergessen. Die wäre eigentlich jetzt, aber wir sollen jetzt losfahren und kommen", teilte sie mir mit. Mist, die habe ich total vergessen. Ja, jetzt wird alles noch schlimmer! Na toll! „Kann meine Karriere wohl eh beenden". „HEY", schrie sie mich böse an. „Das will ich nicht hören, Disse. Wir, ok Du schaffst das! Und ich helfe dir dabei. Also doch Wir! Haha. Du darfst niemals aufgeben. Du bist so ein Kämpfer, du darfst jetzt nicht alles hinschmeißen. Du musst nach vorne schauen. Ich werde dich immer motivieren und wann immer ich Zeit habe, werde ich bei dir sein, versprochen. Rune und ich und die ganze Nationalmannschaft und der ganze THW steht hinter dir. Und, und und, hahaha. Egal. Das musst du einfach wissen, es ist so, wirklich. Vielleicht nimmst du es nur nicht immer wahr, aber es ist die Wahrheit. Ganz Kiel, alle deine Fans werden immer bei dir sein. Sie brennen darauf, dich wieder auf dem Spielfeld zu sehen, sie wollen dich Tore werfen sehen. Du hast deinen Vertrag nicht umsonst auf 2020 verlängert. Du bist der Star hier geworden. Du bist ein Idol für alle kleinen, jungen Handballer. Deine Entwicklung hier ist mehr als unbeschreiblich. Du hast hier schon so viel erreicht, wurdest Europameister und jetzt willst du alles aufgeben? Disse, bitte sei vernünftig. Glaube an dich und dann wirst du schon bald wieder zurück auf dem Spielfeld sein, du hast doch dieses Jahr mit dem THW auch noch was vor, oder?"
Lias Sicht
„Und, was kam raus?". Ich stürmte sofort auf Disse zu, als er wieder von seiner MRT Untersuchung raus kam. „Angerissener und eingeklemmter Meniskus". Er trottete vor sich hin und schaute nur den Boden an. „Und das heißt was?", fragte ich ein wenig zögerlich, da ich mit diesen Begriffen nichts anfangen konnte, wieso sollte ich auch? „Wahrscheinlich Saison Aus", meinte er niedergeschlagen und setzte seinen Gang fort „am Montag werde ich operiert". „Scheiße", rutschte es mir heraus, aber mir ist im Moment auch kein besseres Wort für Disses Zustand eingefallen. „Du sagst es. Mein Leben hat keinen Sinn mehr".
Ich spielte ein bisschen an meinen Fingern rum. Ich wollte Disse was fragen, aber ich wusste nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt dafür wäre. „Disse?". Er schaute mich an und blieb stehen. „Was haltest du von einer Ablenkung?", fragte ich. „Ablenkung ist immer gut. In welcher Form?". „Naja, also ich würde gerne nach Schweden zu meiner Band fahren, wir haben uns schon länger nicht mehr getroffen und jetzt dachte ich, dass wir vielleicht ja da hinfahren könnten. Also bis Sonntag oder so", meinte ich und verzog danach wieder fragend das Gesicht. „Ja, hört sich gut an. Ich bin auf jeden Fall dabei", meinte er und seine Miene hellte sich wieder ein wenig auf. „Danke, du bist der Beste", freute ich mich. „Ich dachte immer, Rune sei der beste", hakte er mit einem frechen Grinsen nach und schlug mir leicht gegen die Schulter. „Naja, also du bist mein bester Freund und Rune... ja, der ist auch mein bester Freund. Also richtiger Freund. So küssen und so, haha", redete ich mich heraus. „Weiß ich doch".
Nach etwa einer Stunde fuhren wir mit Disses Auto los in Richtung Schweden. Meiner Mutter habe ich Bescheid gesagt und sie war einverstanden. Erik, Anton und Lukas habe ich natürlich auch informiert. Im Auto war eher eine düstere Stimmung. Kein Wunder. Die beste Freundin geht einfach mal für ein Jahr nach Kanada, der beste Kumpel kann diese Saison nicht mehr spielen. Immerhin konnte ich mich jetzt auf die bevorstehenden Tage mit Disse freuen. Seit er mit Jenny zusammen war, haben wir eher wenig gemeinsam unternommen. Also nur er und ich. Im Normalfall sind wir ja immer zusammen rumgezogen, aber da waren Rune und Jenny nun mal mit dabei.
„Liaaaaa", kreischte Lukas, als er mich sah. „Meine Boys sind wieder bei mir", freute ich mich ebenfalls und nahm die drei Jungs in den Arm. „Das ist Disse, ihr habt euch an meinem Geburtstag wahrscheinlich schon gesehen", stellte ich meinen Gast vor. „Ja, ich glaube, ich erinnerte mich", vermutete Anton und nahmen Disse gleich auf, als wenn es einer von ihnen wäre. „Ach, apropo Geburtstag. Rune hat nächste Woche, ich möchte ihm einen schönen Tag machen und ein Lied für ihn fände ich cool", meinte ich und schaute die drei zuckersüß an. „Da lässt sich was finden, ich bin dabei", meldete sich Erik zu Wort und auch Anton und Lukas waren davon begeistert. „Dann kann ich ja das außen rum bisschen organisieren, wir machen so eine fette Party für ihn", lachte Disse und freute mich schon sichtlich auf die bevorstehenden Stunden".
Ganz ehrlich: Ich glaube, etwas Besseres hätten wir für ihn nicht finden können. Er ist voll in seinem Element!
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Schlimmer kann es eh nicht mehr werden!
FanfictionIch bin Lia und wohne erst seit ein paar Wochen in Kiel. Ich hasse hier alles. Doch als ich bei einem THW Kiel Spiel Rune Dahmke kennenlernte gefiel mir Kiel auf einmal. Ich wollte hier nicht mehr weg und hatte plötzlich wieder Spaß am Leben, auch w...