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„Moin Lia!", wurde ich am nächsten Morgen durch eine bekannte Stimme geweckt. Meine Mutter war es nicht, und keine Sorge, es war auch nicht Marco. Ich öffnete meine Augen und freute mich, als ich Jenny neben meinem Bett sah. Disse stand dahinter. „Hey, was macht ihr denn hier?", fragte ich. „Deine Nachricht gestern hat mir keine Ruhe gelassen, das musste ich mir doch gleich anschauen!", verriet sie. „Seit ihr schon lange da?", fragte ich weiter. „Seit halb sieben", meinte Disse „die hat einfach keine Ruhe mehr gegeben, dann haben wir uns gleich auf den Weg gemacht", zwinkerte er mir zu und erntete einen bösen Blick von Jenny. Ich stand also auf und gemeinsam gingen wir zum Frühstück runter. Wir waren die ersten. „Und?", wollte ich wissen. „Und was?", fragte Jenny nach. Ich konnte mir gerade so ein Lachen verkneifen, aber nur, weil ich die Situation nicht zum Lachen finde. „Wie findest du das Werk?". Sie begann ganz unauffällig zu pfeifen und schaute weg. Das sagte mehr als tausend Worte. „Guten Morgen Lia, Hallo ihr Zwei!", grüßte uns meine Mutter überfreundlich. Was war gerade nur mit ihr los? Erst jetzt drehte ich mich um und bekam erstmal einen Schock. „Mama! Wir wohnen nicht mehr alleine hier!", erklärte ich.

Sie stand vor mir. Die Haare wie fünf Jahre lang nicht gekämmt. Augenringe und alte Schminke. Doch das Schlimmste: Sie hatte nur ein Top und eine Hot Pan an, bei der ihr halber Arsch raushing. Unter dem Top trug sie keinen BH, daher konnte man ihre Nippel deutlich sehen. Draußen hatte es minusgrade. Am liebsten wäre ich echt im Erdboden versunken, doch für Jenny wurde es kurz drauf genau so peinlich, nämlich als ihr Vater kam. Nur bei ihr kam noch dazu, dass ihr Freund daneben stand. Marco tauchte nämlich nur in Boxershort auf. Er war zwar nicht dick oder fett oder so, aber die Top Figur hatte er halt auch nicht. „Ich glaube wir gehen ins Wohnzimmer", gab Jenny die Marschrute vor und zog Disse und mich, samt unserem Frühstück mit sich. „Tut mir Leid Disse, dass du diesen Anblick ertragen musstest", entschuldigten wir uns immer wieder bei ihm.

Nach dem Frühstück machte ich mich fertig und schließlich fuhren wir los. Erst ließ mich Jenny an der Schule raus, dann brachte sie Disse an irgendeinen geheimen Ort.

Als ich meine Mitschüler sah, wurde ich wieder ein wenig traurig. Ich dachte wieder an meine Zeit in Oberstdorf zurück. Wir hatten immer Spaß, waren die größten Chaoten der ganzen Schule und hier dachte wahrscheinlich jeder negativ über mich. OK, bis auf einer! „Hallo Lia", räusperte sich plötzlich jemand hinter mir und schon wurde ich in irgendeinen Arm gedrückt. „Was willst du, Angelo?!", zischte ich. Auf den konnte ich echt verzichten. Wie schön war nur die Angelofreie Zeit? „Wie geht's dir?", wollte er wissen, auf meine Frage ging er nicht mehr weiter ein. „Ohne dich geht's mir besser", klärte ich ihn auf, doch auch das schüttelte ihn nicht ab. „Also ich habe dich vermisst. Was hast du so gemacht in den Ferien?", fragte er weiter. „Nichts was dich angeht", fuhr ich ihn an und ging ins Klassenzimmer. Die Fragerei hörte leider erst auf, als unsere Lehrerin ins Klassenzimmer kam.

Die Pause verbrachte ich auf dem Klo, dort konnte Angelo mich nicht belästigen. Dafür bekam ich mit, wie andere Schüler über mich tuschelten und teilweise auch hörbar lästerten. Mit der Zeit kamen mir die Tränen und ich sank auf den Boden. „Jetzt heult die auch noch", kam es immer wieder. „Wer ist das eigentlich?"; „So ein Opfer"; „Die muss sich doch nicht wundern, dass sie niemand mag"; „Dass die sich nicht schon verpisst hat!"

Die Pause war mittlerweile schon längst um, doch ich saß immer noch zusammengekauert auf dem dreckigen Boden. „Lia?", hörte ich auf einmal eine Stimme. Mit verheultem Gesicht schaute ich auf und sah Sarah, eine Klassenkameradin von mir. „Was machst du hier?", fragte sie geschockt und half mir auf. So habe ich sie noch nie erlebt. „Willst du nicht lieber heimgehen, du siehst echt nicht gut aus!", meinte sie ein wenig besorgt. „Passt schon", sagte ich knapp und betrachtete mein Spiegelbild. Ich sah wirklich schrecklich aus. „Weißt du jetzt, was ich meine?", fragte sie. Stumm nickte ich. „Komm, wir gehen jetzt ins Klassenzimmer und sagen, dass es dir nicht gut geht und dann begleite ich dich heim", bot sie mir an. Erneut nickte ich und gemeinsam gingen wir dann, nachdem ich ein bisschen Wasser im Gesicht verteilte, zurück zum Klassenzimmer. Als wir die Tür öffneten, starrten uns alle an, das war mir echt unangenehm. Mein Mathelehrer, er ist schon bisschen in die Jahre gekommen, fragte natürlich auch sofort, was mit mir los sei. Er akzeptierte Sarahs Vorschlag, mich heimzubegleiten. Wir packten also schnell meine Tasche und gingen dann. Ich spürte Angelos Blicke auf meinem Rücken, aber die Nerven hatte ich jetzt nicht.

Ich merkte, wie Sarah immer versuchte etwas zu sagen, aber sie fand irgendwie nicht die richtigen Worte dafür. Also das war mein Eindruck. Ich wollte auch die ganze Zeit was sagen, aber mir erging es nicht anders. Irgendwann durchbrach sie dann unser Schweigen. „Stimmt es eigentlich, dass du mit Rune Dahmke zusammen bist?". „Ja", antwortete ich knapp. „Ah cool". Und schon wieder war es ruhig zwischen uns. Als nächstes fing ich mit dem Gespräch an. „Du Sarah?. „Ja?". Schon wieder fehlten mir die richtigen Worte. „Ach egal". Wieder Stille. Es war so eine unangenehme Situation. „Ich rufe Rune an, dann kann er mich abholen", sagte ich noch und telefonierte kurz mit ihm. Sie starrte mich dabei gebannt an. „Soll ich noch mit dir warten?", bot sie mir an. Erneut nickte ich. „Er kommt in zehn Minuten", sagte ich ihr noch und dann setzten wir uns auf eine Bank, die plötzlich vor uns auftauchte. Irgendwie war ich heute neben der Spur.

Ich starrte die ganze Zeit auf den Boden, spürte aber, dass Sarah mich die ganze Zeit anschaute. „Ich finde deine Haare voll cool", meinte sie nach einiger Zeit zu mir. Erst jetzt schaute ich sie wieder an und lächelte leicht. Dann hupte jemand und ich entdeckte Rune. „Also ich muss dann, danke, und ja", meinte ich am Ende noch etwas verlegen und stieg dann bei Rune ein. Sarah schaute uns gebannt hinterher und ging dann wieder zurück zur Schule.

Im Auto kamen mir erst einmal die Tränen. „Ich kann nicht mehr", schluchzte ich immer und immer wieder. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Rune fuhr an die Seite und brachte dann das Auto zum Stehen. „Schau mich an!", forderte er. Nachdem ich ihm nicht gehorchte, nahm er meinen Kopf in seine Hände, sodass ich ihn anschauen musste. „Zusammen schaffen wir das!", versprach er mir. Auf einmal begann ich zu schmunzeln. „Was ist jetzt los?", wollte er wissen. „Fängst du jetzt auch an wie Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik? Wir schaffen das!", lachte ich. Rune schüttelte nur grinsend den Kopf und drückte mich an sich. „Jetzt bin ich wenigstens beruhigt, dass du noch nicht ganz am Ende bist!", meinte er erleichtert, noch immer grinsend. „Das musste jetzt einfach sein", gab ich zu und küsste ihn. „Ey, warum sollte ich dich eigentlich abholen?", fragte er. „Damit wir uns einen schönen Tag machen können", grinste ich dreckig, ich log ihn zwar an, das wusste er auch, doch er ging nicht mehr weiter drauf ein. Ich wollte mich jetzt ablenken und die Sache nicht nur noch schlimmer machen.

„Die Jungs trainieren grad. Sollen wir mal vorbei schauen?", schlug er vor. Auf Handball hatte ich jetzt zwar nicht so viel Lust, aber ich habe die Jungs schon so lange nicht gesehen, daher nickte ich begeistert.

„Guck mal, das ist doch Disse, was macht der denn hier?", fragte ich Rune, als Disse etwa zehn Meter vor uns die Straße überquerte. Wir stiegen aus und ich versuchte ihn abzufangen. „Hey Disse, warte mal!", rief ich. Schlagartig drehte er sich um und zuckte leicht zusammen. Was war bei ihm los? Irgendwie benahm er sich komisch. „Was machst du hier?", fragte ich. „Ich...also...sag ich dir wann anders", stammelte er und lief weiter. „Disse!". „Ist alles OK, wirklich, mach dir da mal keine Sorgen", beruhigte er mich und lief weiter. „Hey, was war das denn bitteschön?", wollte Rune wissen, der von hinten einen Arm um mich schlang. „Keine Ahnung, irgendwie benimmt er sich merkwürdig", meinte ich. „Der wird sich schon wieder fangen. Komm, wir gehen zum Trainingsplatz rüber", sagte er und zog mich mit.

„Lia! Rune!", begrüßte uns freudig Mini und umarmte uns gleich mal. Sprengi kam auch gleich dazu und schließlich bemerkte uns auch Alfred. „Hey ihr Beiden, wie geht's euch?", wollte er wissen. „Gut, danke, und dir?", stellte ich ihm die Frage zurück. „Ganz gut".

Wir schauten eine Weile beim Training dazu und danach saßen wir noch eine Weile zusammen. „Hey, wisst ihr vielleicht, was Disse hier wollte?", fragte ich in unsere beschauliche Runde. „Disse war hier?", fragte Marko ganz verwundert. „Ja, er ist vorhin neben dem Trainingsplatz über die Straße gelaufen", erklärte Rune. „Also wir wissen nichts", sprach Mini mal für alle. Die Jungs redeten noch bisschen über die anstehende EM und Runes inzwischen auskurierte Verletzung. Wir beschlossen noch alle gemeinsam im Vampiano essen zu gehen. „Und Marko? Wie läuft Training so?", fragte ich ihn, da er gerade neben mir saß und ich nicht wusste, über was die Anderen gerade diskutierten. „Jaa, anstrengend. Da wäre mir die EM doch lieber gewesen", gab er zu. „Ist Serbien nicht dabei?", fragte ich verwundert. „Doch schon, aber ich wurde nicht nominiert", meinte er traurig. „Ohh, aber wieso denn nicht. Du bist so ein guter Spieler. Wie ich finde auch der beste auf der Position, warum will dein Land dich dann nicht?" „Ich konnte bisher noch nie so wirklich meine Leistung abrufen und jetzt wollen sie mich halt nicht mehr", erklärte er mir ein wenig niedergeschlagen. „Das tut mir Leid für dich. Aber dafür hast du ja den THW, die wissen wenigstens, was sie an dir haben", meinte ich selbstsicher und drückte Marko dann einmal. Somit brachte ich ihn zum lächeln, das tat nicht nur ihm gut, sondern auch mir!


Schlimmer kann es eh nicht mehr werden!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt