Kapitel 3 - Antworten

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Sie verliessen die Schenke und traten hinaus in die Gasse. Es war noch nicht spät, die Fackeln brannten noch und ab und zu begegnete ihnen jemand, als sie weiter nach Nordwesten gingen. Schliesslich verliess Jaz die Strasse, stieg eine Treppe hinauf und dann eine Leiter, die aufs Dach führte. Er setzte sich an die Dachkante und Falrey liess sich neben ihm nieder, im Schneidersitz. Für eine Weile schwiegen sie beide. Dann sagte Jaz: „Du wolltest Antworten."

Falrey sagte nichts. Oh ja, er hatte Fragen. Und er schwor sich, dass er die Antworten darauf bekommen würde. Aber er wusste nicht, wo beginnen. Er musste nicht fragen, ob Jaz ihn in jener Nacht hatte töten wollen, die Antwort darauf war ja, er hatte es gespürt, gesehen. Was er nicht verstand war: warum hatte er es trotzdem nicht getan? Warum hatte er das Messer fallen gelassen, ihn zusammengeschlagen und dann liegen gelassen, ohne es zu beenden? Wieso hatte er sich geweigert, ihn zu töten? Aber er konnte nicht diese Frage als erstes stellen, sie war zu direkt. Er musste einen Kontext dafür aufbauen, für Jaz, aber vor allem für sich selbst. Aber womit sollte er anfangen?

Eine Bewegung im Augenwinkel riss ihn aus seinen Gedanken. Er folgte ihr und sah, dass Jaz etwas aus seinem Mantel hervorgeholt hatte und auf den zweiten Blick erkannte er es als den Draht vom Nachmittag. Am einen Ende baumelte das Holzstückchen und Jaz war dabei am anderen ein identisches anzubringen und den Draht so zu verdrehen, dass es hielt.

„Was ist das?", fragte Falrey.

Halb rechnete er mit einem „ist das deine Frage?" als Erwiderung, aber Jaz gab eine schlichte Antwort: „Eine Garotte."

Der Begriff sagte Falrey nichts. „Wozu ist das gut?"

Anstatt einer Antwort hob Jaz den Draht an den Hals, überkreuzte die Holzstücke im Nacken und tat, als würde er daran zuziehen.

Falrey schluckte und unterdrückte den Hang, sich an den Hals zu fassen. So viel zum Thema Jaz wirkte harmlos beim Basteln. Schnaubend und mit mehr als nur einer Portion Sarkasmus fragte er: „Ist das, damit du in Zukunft keine Blutflecken mehr hinterlässt?" Er dachte an die Flecken in der Küche, die Emila weggewischt hatte.

„Unter andere", antwortete Jaz, ohne durchschimmern zu lassen, ob er die Anspielung verstanden hatte. „Ich dachte, ich probiers mal aus."

Falrey wandte sich wieder ab. Den Blick über die Dächer gerichtet, hörte er sich selbst fragen: „Warum wolltest du mich umbringen?"

Es war die Frage, die er eigentlich hatte umschiffen wollen, nur antäuschen, denn es war die, auf die er am wenigsten eine Antwort erwartete, von der er am meisten befürchtete, dass sie Jaz zum Schweigen bringen würde. Aber seine Zunge hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und nach einigen qualvoll langen Atemzügen der Stille antwortete Jaz: „Weil ich es nicht wollte." Er holte Luft, und bevor Falrey etwas sagte konnte, fuhr er fort: „Und weil... seit du da bist, ist Ela viel schlimmer." Er schien um Worte zu ringen. „Wir... wir haben nie darüber geredet, was ich mach, aber sie wusste es. Sie wusste, was sie nicht fragen sollte, wenn sie keine Antworten wollte. Und... ich lass sie das Leben leben, das sie immer wollte. Es ist ihr so wichtig, verstehst du?"

Falrey schwieg.

Leise sagte Jaz: „Bevor du da warst, waren Lügen immer nur für die anderen."

Falrey gab keine Antwort. Aber er verstand. Besser, als ihm lieb war, denn er hatte sich geschworen, dass er kein Mitleid haben würde mit Jaz. Kalt fragte er: „Und warum hast du mich dann nicht getötet?"

„Weil es an nichts was ändern würde", antwortete Jaz.

Falrey wandte den Blick wieder ab. „Töten alle Jäger auch Kinder?"

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt