Kapitel 10 - Eine Ausnahme

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Als Jelerik zwei Zeiten später aufkreuzte, war Falrey wieder so weit beisammen, dass er vorne stand und arbeitete. Jelerik rief ihn nach hinten, zahlte ihm seinen Lohn aus und eröffnete ihm, dass er am nächsten Abend frei hatte, ohne Begründung. Falrey fragte sich, woher Jaz eigentlich so viel Einfluss auf den Bordellbesitzer hatte, dass der seinen Wünschen bezüglich Falreys freien Abenden einfach so nachgab. Oder war es mehr die Überlegung, es sich nicht mit ihm zu verscherzen, weil man ihn ja vielleicht irgendwann noch brauchen konnte? Falrey bezweifelte auf jeden Fall, dass Jelerik es einfach nur tat, weil er ein guter Mensch war. Er mochte ein anständiger Arbeitgeber und durchaus freundlich sein, aber um in den Schattenzonen von Niramuns Geschäftswelt erfolgreich zu sein, brauchte es etwas mehr als das, und soweit Falrey wusste, gehörte Jelerik mehr als nur dieses Bordell. Er mochte nicht so tief in das Spiel verstrickt sein wie Pliss, aber die Wahrscheinlichkeit, dass seine Weste weiss war, war gleich Null. Also musste er sich irgendeinen Vorteil davon versprechen, Jaz Bitten statt zu geben – oder einen Nachteil davon, es nicht zu tun.

Er nickte nur zum Einverständnis und kehrte zurück an seinen Platz.

Am nächsten Abend verliess er das Liliths um Meru und setzte sich in die Schenke auf der anderen Platzseite. Er hatte mit Jaz weder eine Zeit noch einen Ort ausgemacht, und er mochte nicht in seinem Zimmer warten, bis er ihn abholte. Hier konnte er zumindest etwas trinken solange und Jaz würde ihn finden, wenn er ihn suchte. Früher hatte er ihn immer hier abgeholt nach der Arbeit... die Zeit verging so schnell. Alles schien so lange zurückzuliegen, nur die Dinge, die wehgetan hatten, fühlten sich immer an, als wären sie erst gestern passiert.

Er war noch kein Dreivierteljahr hier. Aber alles, was vor Niramun passiert war, fühlte sich an wie aus anderen Leben, und Jaz war zu einem festen Bestandteil des Begriffs Vergangenheit geworden. Als würde jede Veränderung im Leben die Phase davor ein Stück von einem wegrücken und zu einem kompakten Paket verschnüren, und diese Pakete waren alle fast gleich gross, egal wie lange sie wirklich gedauert hatten. Da war ein Paket frühe Kindheit, an das er sich nur Bruchstückhaft erinnern konnte. Ein Paket mit Marvel und Ikian, das abrupt endete an einem einzigen Sommertag, als sie zwölf waren. Die letzten Jahre im Wald, die sich im Nachhinein betrachtet von Anfang an angefühlt hatten wie ein Zwischenzustand, der Moment wenn ein Baum beginnt zu krachen, aber sich noch nicht bewegt, bevor er endgültig fällt. Ein Paket Reise, das irgendwie durchscheinend schien, als könnte er es nicht richtig fassen. Eine dunkle Ansammlung von Erinnerungen an Jaz und die erste Zeit in Niramun. Und ein Schein von Lampenlicht und weinroter Uniform über den letzten Monaten.

Er realisierte, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wirklich so etwas wie ein geordnetes Leben führte, mit geregelten Arbeitszeiten, Gewohnheiten, und einer abschätzbaren Zukunft. Unwillkürlich hörte er Mistys Stimme. Ist es das, was du willst? Ein durchschnittliches Leben ohne Aufregung? Ein Teil von ihm verteidigte sich sofort. Er hatte lange genug nicht gewusst, ob er den nächsten Tag noch erleben würde, um ein wenig Ruhe zu schätzen. Und überhaupt – Bordellaufpasser war immer noch aufregender, als das, was der durchschnittliche Bürger in Aussicht hatte. Aber willst du das wirklich für den Rest deines Lebens machen?

Warum nicht?, fragte eine Stimme trotzig in seinem Kopf, aber grundsätzlich wusste er, worauf eine solche Diskussion mit sich selbst hinauslaufen würde. Nicht für immer. Aber zumindest ein paar Monate lang. Bis ich weiss, was ich will. Bis er wieder Ordnung in seinem Kopf hatte und mehr von allem verstand. Falls das überhaupt jemals passierte.

Er war beim zweiten Bier, als Jaz sich ihm gegenüber setzte, grusslos und mit einem Krug Bier in der Hand. Sie tranken schweigend, bis sie beide leer hatten, dann stand Jaz auf und Falrey folgte ihm aus der Schenke. Sie schlenderten mehrere Gassen weit, bis Falrey die Stille bracht: „Also. Warum sollte ich?"

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt