Kapitel 90 - Eine Antwort

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Als der Abend dämmerte, hatten sie das halbe Westviertel abgesucht, zahlreiche verlassen wirkende Gebäude betreten, dabei einige verwirrte Bewohner aufgescheucht, den Zustand von Dächern und Türrahmen geprüft. Jaz wusste genau, worauf man achten musste, was es brauchte für einen sicheren Unterschlupf. Das Mauerwerk musste stabil sein, die Umrandungen der Fenster mit den Schienen für die Läden intakt, die Eisen für die Türscharniere fest im Stein verankert, der Kamin gross genug, um Rauch abziehen zu lassen, aber schmal genug, dass sich niemand hindurchquetschen konnte, Fenster im Erdgeschoss mussten ein Stahlgitter haben und nichts durfte darauf hindeuten, dass jemand die Räume für irgendetwas nutzte, und sei es nur selten, denn das würde zwangsläufig Ärger geben. Falrey fragte sich, wie oft Jaz genau so ein Versteck gesucht hatte, für sich selbst und Emila.

Als schliesslich die Nacht hereinbrach und Jaz meinte, es wäre zu gefährlich, weiter aufs Geratewohl in Häuser zu marschieren, weil man nicht wusste, wen man bei was überraschen würde, hatten sie drei, vier in Frage kommende Orte gefunden, nicht zu gross, um sie im Winter warm zu kriegen, aber geräumig genug, dass Nemi sich nicht eingesperrt fühlen würde. Sie setzten sich auf ein Dach und Jaz zündete sich ein Schilf an, bevor er fragte: „Wie viel Geld hast du?"

„Etwa zweihundert Brand", antwortete Falrey. Er hatte es erst vor einigen Tagen nachgezählt. Es klang in seinen eigenen Ohren nach unglaublich viel, aber vermutlich würde es schneller weg sein, als er ahnte.

Jaz zog an seinem Schilf. „Kein schlechtes Polster für den Anfang. Das wichtigste ist, dass du zuerst das zahlst, was wirklich nötig ist, und dir erst dann überhaupt Gedanken um den Rest machst. Das Teuerste wird wahrscheinlich die Türe sein. Sieh zu, dass du eine gute kriegst, aus solidem Holz, mit einem guten Schloss, das auch nicht gleich ausreisst, wenn man reinkickt. Dann Fensterläden, am besten solche, die du von innen verriegeln kannst. Du brauchst Lampen, mindestens zwei, falls eine kaputt geht, und einen Vorrat an Öl, um sie zu befüllen. Eine Matratze oder zwei, je nachdem, wie das dein Anstand zulässt." Ein Grinsen zuckte um seine Narbe. „Decken auch. Einen Eimer für Wasser und einen mit Deckel als Latrine. Becher, Teller, einen Topf. Und sag deinem Mädchen, sie soll an Kleidern mitnehmen, was sie hat und tragen kann."

Er schwieg einen Moment, schien noch einmal die Liste im Kopf durchzugehen, bevor er meinte: „Ich denke, das ist das Wichtigste, damit kannst du leben. Das Geld, was fortlaufend reinkommt, muss dann vor allem erstmal reichen für Feuerholz und Essen, aber behalt auch die kleineren Ausgaben im Auge. Die Toilettenleerung ist zum Beispiel was, was man leicht vergisst."

Falrey konnte nichts tun, ausser nicken. Das war so viel. Vor allem eine Menge, an das er nicht gedacht hätte. Er fühlte sich überfordert. Du kriegst das hin, sagte er sich und wiederholte es so lange, bis es überzeugt genug klang, dass er es sich zumindest halbwegs abkaufte. Du kannst das.

Jaz zog an seinem Schilf und lehnte sich gegen den Kamin in seinem Rücken. Eine Weile lang schwiegen sie beide, während Falrey sich die Liste einprägte und Punkt für Punkt durchging. „Wo bekommt man eine Tür?"

„Normalerweise lässt man sich die machen", antwortete Jaz. „Von einem Tischler."

Falrey verzog das Gesicht. Seine Erinnerung an die Tischler Niramuns war nicht die Beste.

„Aber ich kenn ein paar Läden, bei denen wir vorbeisehen können, ob sie was aus zweiter Hand haben", fuhr Jaz fort. „Wird natürlich nicht passen, aber wenn der Unterschied nicht zu gross ist, reicht es vielleicht, die Scharniere zu versetzen und ein bisschen was abzusägen." Er zog an seinem Schilf. „Aber wenn es etwas gibt, wo du nicht sparen solltest, dann ist es die Tür."

„Wann ist ein Schloss gut genug?", fragte Falrey.

„Wenn du es selbst nicht knacken kannst", sagte Jaz.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt