Als er das nächste Mal erwachte, lag er am Boden, die Wange am Stein plattgedrückt. Ruckartig hob er den Kopf und suchte einen Moment lang panisch nach Jaz, bis er ihn an der Wand sitzen sah. Er war leichenblass, aber wach und musterte Falrey durchdringend. „Wo ist Ela?", fragte er so heiser, dass Falrey ihn kaum verstand.
Falrey setzte sich auf und sah sich um. Ihm war klar, warum Jaz fragte, denn er war beim Aufräumen nicht annähernd so gründlich gewesen, wie Emila es jeweils schaffte. „Sie hat bei einer Freundin übernachtet", antwortete er. „Peg."
Jaz erwiderte nichts darauf und auch Falrey schwieg. Er wich Jaz Blick aus, wusste, dass er etwas sagen musste, dass Jaz darauf wartete, aber nicht, wo er auch nur hätte beginnen sollen. Sich entschuldigen? Fragen? Aber wonach? Er fand keine Worte dafür.
Schliesslich stand er auf. Völlig verspannt vom kalten Boden streckte er sich und schob den Fensterladen so weit auf, dass etwas Licht in den Raum fiel, teilte das verbleibende Wasser auf zwei Becher auf und reichte Jaz einen davon, bevor er sich neben ihn kniete und auf seinen linken Arm nickte. „Kann ich sehen?"
Reflexartig drückte Jaz die Gliedmasse an sich und bleckte die Zähne, doch nach einigen Atemzügen gab er nach, sank in sich zusammen und zog seinen Ärmel zurück. Seine Finger zitterten und aus der Nähe sah Falrey, wie durchscheinend seine Haut war. Vermutlich hatte er die ganze Woche über nichts gegessen. Dafür hatte er viel zu viel Blut verloren. Und der Alkohol machte es nur schlimmer. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt aufgewacht war.
Vorsichtig wickelte Falrey den Verband ab. Jetzt bei Tageslicht sahen die Schnitte weniger schlimm aus, keiner blutete mehr und die Naht schien besser zu halten, als Falrey erwartet hatte. Jaz musterte die unregelmässigen Stiche und obwohl es idiotisch war in der Situation, lief Falrey rot an. „Tut mir leid, ich kann das nicht so gut wie Emila", verteidigte er sich.
„Danke", flüsterte Jaz nur. Er starrte die Schnitte an, dann ballte er die Faust und sagte kaum lauter. „Es tut mir leid."
„Was?", fragte Falrey.
„Das", antwortete Jaz nur und liess den Arm wieder in Falreys Hand sinken. Er wehrte sich nicht dagegen, dass Falrey ihn am Handgelenk fasste und vorsichtig das eingetrocknete Blut mit einem Tuch und Wasser aus seinem Becher von den Wunden tupfte. Die Haut, die die Schnitte umgab, war narbenübersät. Zum ersten Mal fragte Falrey sich, ob sie wirklich alle von Kämpfen stammten.
Das Bild, wie Jaz Messer sich hineingrub, eine tiefrote Spur hinter sich ziehend, kehrte vor seine Augen zurück, und er begriff, was das wirklich schreckliche daran war. Nicht die Wunde, nicht das Blut. Sondern die Frage, warum er es getan hatte. Die möglichen Antworten darauf.
Ein Stück weit glaubte er zu verstehen. Er hatte den Schmerz in Jaz Gesicht gesehen. Man tat alles, um solchem Schmerz zu entkommen. Und nachdem Falrey ihm den Alkohol weggenommen hatte, hatte er keinen anderen Weg mehr gesehen. Aber hatte er – Falrey schluckte leer und zwang sich, den Gedanken zu Ende zu führen – hatte er sich wirklich umbringen wollen? Hätte er dann nicht direkt nach seinem Herz gestochen?
Falrey holte Luft und hob den Blick zu Jaz Gesicht, bevor er fragte: „Warum hast du das getan?"
Jaz wandte seinen Blick ab und schwieg lange. Schliesslich sagte er leise: „Ich will dir das nicht erklären, Fal."
„Warum?", fragte Falrey.
Jaz sah ihm in die Augen. „Weil ich hoffe, dass du es nie verstehen wirst. Und ich will nicht derjenige sein, der dich darauf gebracht hat." Er holte Luft. „Aber ich wollte nicht abkratzen, wenn du das meinst. Deshalb danke. Dafür." Er nickte auf die Naht.
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Niramun II - Mörder und Bastard
FantasíaFalrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halten und auch wenn er keine Freunde mehr hat in Niramun, so zumindest auch keine Feinde. Aber am Ende sind weder unruhestiftende Freier noch di...