Kapitel 48 - Aussenseiter

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Poss und Falrey verbrachten die Nacht damit, eine Schmarotzervilla im Inneren Al zu beobachten, hoch oben an den Hängen des Pfeilers und mit einem fabelhaften Ausblick über die Senke des Kraters. Poss gab Falrey einen Abriss darüber, was er während der letzten Tage in Erfahrung gebracht hatte, und sie berieten, was der beste Weg hinein und auch wieder hinaus wäre, wobei sie zum Schluss kamen, dass es am einfachsten war, von den Nachbarhäusern weiter hangaufwärts auf den oberen Teil des Gebäudes zu gelangen und sich von dort her zu den Fenstern, die gegen den Innenhof gingen, abzuseilen. Eine Kaminzeile bot einen guten Ankerpunkt für das Seil und im obersten Geschoss befanden sich zwei Schlaf- und ein Arbeitszimmer, von denen aus man wiederum schnell in den repräsentativen Salon darunter gelangte. Die Terasse, auf die er sich öffnete, überragte den Hof und den vorderen Teil des Hauses, sodass nichts die Sicht verstellte, versperrte aber ihrerseits den Blick vom Hof hinauf an die obere Wand. Für den Rückzug konnten sie entweder denselben Weg wieder hinaufklettern, oder sich über das tiefere vordere Dach und die angrenzenden Grundstücke absetzen, abhängig davon, wie weit sie vordringen würden.

Es war nicht das erste Mal, dass Poss Falrey auf einen Beutezug mitnahm, bei dem sie in ein Haus einbrachen, während die Bewohner anwesend waren, aber der Haushalt hier war wesentlich grösser und im Dienstboten- und Küchenbereich im unteren Gebäuteteil würde vermutlich noch bis tief in die Nacht Betrieb herrschen. Poss schien sich wie ein kleines Kind darauf zu freuen, praktisch unter ihren Augen das Haus auszuräumen, und die Aufregung schwappte auch auf Falrey über.

„Wann?", fragte er, als Poss den Grobplan festgelegt hatte.

„Innerhalb der nächsten Tage", antwortete Poss, der bäuchlings neben ihm lag und das Haus nicht aus dem Blick liess. „Wann bist du verfügbar?"

Er wusste, dass Falrey manchmal arbeitete, auch wenn er ihm nie genau erzählt hatte wo und als was. „Morgen", antwortete Falrey.

Poss schnalzte mit der Zunge. „Danach?"

Falrey rechnete nach. „Erst wieder in fünf Tagen."

Poss schnalzte erneut und diesmal war dem Geräusch Unmut anzuhören. Er schwieg einige Atemzüge lang, sein Blick flog über Mauern und Fenster und Falrey konnte fast hören, wie seine Gedanken knisterten, während er Risiken und Chancen abschätzte und gegeneinander aufwog.

„Dann morgen", meinte er schliesslich, und obwohl klar war, dass er lieber noch eine oder zwei Nächte Zeit gehabt hätte, um seinen Plan abzusichern, klang er zuversichtlich, entschlossen und als würde er innerlich über beide Ohren grinsen. Es war in Momenten wie diesem, dass Falrey sich fragte, ob Poss eigentlich noch alle Tassen im Schrank hatte. Aber grundsätzlich war es egal, ob dem so war oder ob nur noch zerbrochene Scherben darin herumlagen, denn er hätte seinen Ruf als der beste Dieb Niramuns niemals erlangt, hätte er Fehler gemacht, die er nicht ausbalancieren konnte oder wäre gar erwischt worden, und im Endeffekt war das alles, worauf es ankam.

Als sie sich gegen Morgen trennten, machte Falrey sich alleine auf den Weg in Richtung Kraterrand. Die Nacht war kühl und der Umhang lastete schwerer auf seinen Schultern, als er eigentlich war. Er drehte einige Schleifen, stieg die endlosen Treppen hoch und kletterte weiter, bis er weit genug über den Dächern war, um sich sicher zu fühlen, obwohl ihm im Grunde klar war, dass diese Sicherheit nur eine Illusion war. Nichts hinderte jemanden daran, ihm hinterherzusteigen, ihn im Schlaf umzubringen und auszurauben, geringer war hier oben nur das Risiko, dass jemand zufällig über ihn stolperte.

Er lehnte sich gegen die Felswand und zog die Knie an. Ihm war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Er brauchte entweder ein sicheres Versteck oder musste zurückkehren in Emilas Haus. Ihm war auch bewusst, dass es keinen wirklichen Grund gab, nicht letzteres zu tun. Jaz mochte ihn umbringen wollen, aber er wollte eine ganze Menge Leute umbringen und tat es doch nicht, also war die Gefahr, die von ihm ausging wohl klein im Vergleich damit, schutzlos im Freien zu schlafen. Das war der Witz an Jaz. Dass er einen prinzipiell jederzeit massakrieren konnte und es vielleicht auch wollte, dass man aber im Allgemeinen davon ausgehen konnte, dass er es nicht tat.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt