Kapitel 57 - Auf der Suche

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Er ging arbeiten die nächsten Tage, Kohleschleppen bei den Hochöfen, wobei er sich einen Lappen um die Hand wickelte, damit der Verband nicht allzu schmutzig wurde. Es fühlte sich kein bisschen leichter an als das erste Mal, und wenn er um Meru endlich aus der Halle taumelte, war er komplett ausgelaugt und alles tat ihm weh. Dennoch wusch er sich, ass etwas und schleppte sich zum Badehaus, um anzuklopfen. Nemi hatte nicht viel Zeit an diesen Abenden aber er genoss jeden Augenblick, denn sie war es, die allem einen Sinn gab. Den Schmerzen, der Müdigkeit, der Ernüchterung darüber, was für ein Schwächling er war. Dank ihr wusste er, wofür er es tat, und er stellte fest, dass es sich besser anfühlte, für einen Zweck zu leiden als für nichts müssig herumzuliegen.

Als er am zweiten Abend nach Hause zurückkehrte, war Jaz noch immer nicht da. Die letzten Nächte war sein Bett leer geblieben und Emila bestätigte Falrey, dass er sich auch im Laufe des Tages nicht hatte blicken lassen. Sorge und Schuldgefühl nagten an Falrey, während er zum zweiten Mal zu Abend ass, egal wie sehr er versuchte sich einzureden, dass er sich keine machen musste, dass Jaz öfter nicht nach Hause kam, dass er verdammt nochmal auf sich aufpassen konnte.

Schliesslich stand er auf und nahm seinen Mantel. Überrascht blickte Emila auf. „Wohin gehst du?"

Er knöpfte den Umhang zu. „Jaz suchen."

Sie fragte nicht, warum. Alles, was sie sagte, war: „Sei vorsichtig."

Er nickte und trat hinaus in die Stadt. Er hatte keine Ahnung, wo er mit der Suche beginnen sollte, also marschierte er erst zum Marschall. Der Wirt erkannte ihn wie erwartet nicht wieder, aber als Falrey ihm seinen Namen und den von Poss nannte, hellte sich seine Miene auf, eine Nachricht hatte er jedoch nicht, also verliess Falrey die Schenke wieder.

Vom Marschall war es nicht weit zum Runden Platz, deshalb warf er als nächstes einen Blick in den Hopfentopf. Sovi und Seb begrüssten ihn per Handschlag und rutschten zusammen, um ihm Platz zu machen, aber Falrey schüttelte den Kopf. „Jaz ist nicht zufällig hier vorbeigekommen, oder?"

Seb schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab ihn ewig nicht mehr gesehen. Sag ihm, er soll sich mal wieder blicken lassen."

Falrey nickte, bevor er sich erneut auf den Weg machte. Er marschierte nach Norden zum Roten Fuchs und auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, betrat er das Lokal, aber Jaz war nicht da und Falrey traute sich nicht, den Wirt anzusprechen, also kehrte er unverrichteter Dinge zurück nach draussen. Dort lehnte er sich erst einmal an die Wand und dachte nach. Ihm fielen fast die Augen zu dabei, am liebsten hätte er sich einfach auf den Boden gelegt, um zu schlafen, aber ihm war klar, dass er dann vermutlich nicht wieder erwacht wäre, und so schnell wollte er auch nicht aufgeben. Wo konnte Jaz noch sein?

Ihm fielen eine Menge Orte ein. So ziemlich jede Schenke zwischen Het und Una. Der halbe Eber. Tersavell. Mira... wobei letzteres eher unwahrscheinlich war. Vielleicht erledigte er auch einen Auftrag. Oder sass irgendwo auf einem Dach und rauchte ein Schilf. Falrey fuhr sich übers Gesicht. Zur Hölle, warum musste diese Stadt so gross sein?

Er lief erneut los, klapperte eine ganze Reihe weiterer Rekrutierlokale ab, in denen er irgendwann einmal mit Jaz gewesen war, blieb aber erfolglos. Dann versuchte er sich in Jaz hineinzuversetzen, was sich als schwerer herausstellte als gedacht. Erstens hatte er allgemein etwa neun Zehntel der Zeit keine Ahnung, was in Jaz vorging, schon gar nicht, wenn er nicht anwesend war – er war sich weder sicher, warum Jaz fast zwei Wochen betrunken herumgelegen, noch warum er sich jetzt plötzlich wieder aufgerafft hatte, noch ob das, was Falrey gesagt hatte, ihn wirklich beschäftigte und er deshalb nicht nach Hause kam, oder ob es nur Zufall war und er einfach zu tun hatte – zweitens wusste er nach wie vor nicht, was Jaz tat, wenn er nicht nach Hause kam, wo er sich aufhielt, wo er schlief. Gar nicht? Irgendwo im Freien? In einem Gasthaus – Falrey fragte sich an dieser Stelle, warum er eigentlich nicht auf diese Idee gekommen war, als er abgehauen war – oder bei jemandem, den er kannte? Aber bei wem? War der Gedanke an Mira vielleicht doch nicht so abwegig?

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt