Kapitel 91 - Nein

195 17 23
                                    

Er sass auf seiner Matratze, als Jaz nach Hause kam. Es war längst dunkel und Jaz zuckte zur Seite, als er ihn beim Betreten des Zimmers aus dem Augenwinkel bemerkte, bevor er ihm grüssend zunickte und sich über seine Truhe beugte, um etwas zu suchen. Falrey beobachtete ihn dabei, ohne es wirklich wahrzunehmen. Seit Zeiten sass er so da, starrte ins Leere, während Erinnerungen durch seinen Geist zogen. Nemi, wie sie die Brottasche ass, am Holzmarkt. Wie sie lachte. Wie sie las. Wie sie neben ihm auf der Fensterbank in der Küche des Badehauses sass, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Wie sie am Fenster gestanden hatte. Alles, was sie war, für ihn. Alles, was er wusste über sie, und sie über ihn.

Er konnte das Gefühl nicht einmal benennen, das es in ihm auslöste. Es war nicht Wut. War nicht Trauer. Was auch immer es war, es fühlte sich an, als hätte ihm jemand einen glühenden Schürhaken durch die Brust getrieben und jeder Widerhall ihres Namens in seinen Gedanken drehte das Eisen ein weiteres Mal in der Wunde herum. Hätte er gekonnt, hätte er es herausgerissen. Auch wenn das bedeutete hätte, zu verbluten.

Nach einer Weile schloss Jaz den Truhendeckel und wandte sich zu ihm um. „Ich geh was trinken, kommst du mit?"

Wortlos streckte Falrey ihm die Hand hin und liess sich auf die Füsse ziehen. Sie verliessen das Haus, schlenderten die fackelerleuchteten Strassen entlang. Es war bereits spät und ein Teil von Falrey fragte sich, warum Emila noch nicht nach Hause gekommen war, aber vielleicht wollte er das gar nicht wissen. Der blosse Gedanke an sie und Bodir, daran, dass sie vermutlich glücklich waren, drehte ihm fast den Magen um, auch wenn er sich dafür hasste.

Er musterte die Leute, die ihnen entgegenkamen, die Gesichter gerötet vom Alkohol, lachend, scherzend. Etwas frass sich in seine Eingeweide wie eine Klauenhand, so bitter, dass ihm schlecht wurde davon. Er spürte, wie sich seine Fäuste ballten und seine Kiefer sich zusammenpressten. Langsam atmete er aus, seine Finger entspannten sich, aber die Übelkeit blieb. Er hätte am liebsten alles ausgewürgt. Nemi. Den Schürhaken. Sein Herz. Am liebsten wäre er einfach zusammengebrochen und hätte sich in irgendeiner Ecke zusammengerollt, um nichts mehr sehen, nichts mehr hören zu müssen. Aber sein Körper tat nichts dergleichen, marschierte weiter, als wäre nichts, Jaz hinterher.

Jaz stiess eine Türe auf und sie betraten einen vollgestopften Schanksaal. Es war laut, verraucht, die Menschen standen dicht zwischen den Säulen der niedrigen Halle. Jaz bahnte sich mit den Schultern einen Weg und Falrey folgte ihm in der Schneise. Jede Berührung liess ihn zusammenzucken. Er hätte nicht mitkommen sollen. Es tat alles weh. Die Geräusche. Das Licht. Die Gedanken in seinem Kopf. Die Erinnerung daran, wie der Fackelschein in Nemis Blick geflackert hatte, als er sie gefragt hatte. Er hatte sie gefragt. Hatte all seinen Mut zusammengenommen, alles, was er war, in diese verfickten Worte gelegt. Und sie hatte ihm nicht einmal eine Antwort gegeben. Nicht einmal das. Und er hatte es nicht gemerkt. Er war so ein Idiot, so ein verfluchter Idiot.

Jaz drückte ihm einen Krug Bier in die Hand und hielt seinen eigenen auffordernd hoch. Falrey stiess an und trank. Das Bier schmeckte grässlich, die übliche Saufhaus-Pfütze, für die es kaum einen anderen Vergleich gab als Pisse, aber im Moment war ihm das egal. Es gab Schlimmeres.

Jaz lehnte sich gegen den Tresen, liess eine Bemerkung darüber fallen, wie sehr er es hasste, tagsüber zu arbeiten, und Falrey nickte, ohne ihm wirklich zuzuhören. Er erinnerte sich daran, wie er nach der Arbeit in den Hochöfen Nemi besucht hatte, so müde, dass er beinahe im Stehen eingeschlafen war. Trotzdem hatte es sich gut angefühlt, denn er hatte es für sie getan. Er hätte alles für sie getan. Aber das war nie etwas wert gewesen, denn sie hatte es gar nicht gewollt. Sie hatte ihn nicht gewollt und nichts von all dem, was er ihr ohne zu zögern gegeben hätte. Ausser, als sie zu den Feuertänzern wollte. Dafür war er gut genug gewesen. Nicht zu langweilig, fügte eine Stimme in seinem Kopf schnaubend an.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt