Kapitel 93 - Arschlöcher

151 16 19
                                    

Es wurde nicht besser. Er hatte gehofft, der Schmerz würde weggehen mit den Stunden und Tagen, aber das tat er nicht. Die Gedanken an Nemi kehrten immer wieder zurück, egal, was er versuchte, um sie auszusperren, ob er mit Jaz trainierte, ob er versuchte zu essen oder einfach nur dasass. Als würde jeder Herzschlag ihn an sie erinnern, weil sein Herz doch sowieso nur noch für sie geschlagen hatte. Jetzt war sie weg, fort aus seinem Leben, seiner Zukunft, seiner Hoffnung, und jeder Atemzug fühlte sich an wie einer zu viel.

Er versuchte sich zu sagen, dass es vorbeigehen würde, dass es weiterging, aber er wusste nicht einmal, was er dabei sagen sollte. Es war vorbei. Er konnte sich nicht damit abfinden. Doch genauso wenig konnte er etwas daran ändern. Sie war einfach weg. Es klang in seinen eigenen Gedanken fast, als wäre sie gestorben, und an irgendeinem Punkt fragte er sich, ob das nicht vielleicht sogar besser gewesen wäre, leichter zu ertragen. Er versuchte es sich vorzustellen, ihr Gesicht und den Tod, und ihm wurde schlecht davon. Nein, das hätte er erst recht nicht ertragen. So konnte er sich wenigstens sagen, dass sie noch da war, dass es ihr gut ging, dass sie vielleicht glücklich war, wenn auch glücklich ohne ihn. Auch wenn es so falsch war, auch wenn er sie dafür hasste, dass sie sich womöglich fühlte, als wäre nichts passiert, während für ihn die Welt zusammengebrochen war.

Er widerstand irgendwie dem Drang, sich nur noch auf seiner Matratze zusammenzurollen und zu schlafen, bis er nicht mehr konnte, auch wenn er nicht wusste, wofür er dagegen ankämpfte, wanderte im Haus umher, ziel- und rastlos. Als Emila ihn irgendwann bat, Wasser zu holen, nickte er nur mechanisch und nahm die Eimer. Erst als er auf dem Weg zum Brunnen war, wurde ihm klar, dass es passieren konnte, dass er Nemi dort antraf.

Sie war nicht da, als er auf den Platz trat, doch jemand anderes war noch dabei, Wasser zu pumpen, und sein Blick heftete sich auf die Fassade des Badehauses, während er wartete, als hätte jemand seinen Kopf gepackt und zwinge ihn, hinzusehen. Ein erbärmlicher Teil von ihm wollte, dass sie herauskam, wollte sie einfach nur sehen. Aber was sollte er tun, wenn es tatsächlich geschah? Sie begrüssen, als wäre nichts passiert, als hätte es niemals etwas zwischen ihnen gegeben, als wäre sie nur irgendein Nachbar? Die Worte blieben ihm schon in der Kehle stecken, wenn er nur daran dachte. Sie ignorieren, als würde sie gar nicht existieren? Ihr all das an den Kopf werfen, was er dachte? Er konnte das nicht. Er konnte das alles nicht.

Ihm war schlecht vor Angst, als er endlich an der Reihe war und seine Eimer füllte. Er wollte nicht mehr hinübersehen, wollte gar nicht wissen, ob sie da war, ob sie womöglich auf ihn zukam, wollte nur weg, bevor sie ihn erreichen konnte.

Fluchtartig verliess er den Platz, stellte die Eimer in die Küche und lief nach oben, wo er sich zu Boden rutschen liess und den Kopf in den Armen vergrub. Er hasste seine Gedanken dafür, dass sie ihm automatisch Bilder der Zukunft zeigten. Über Monate hinweg hatte er sich damit über Wasser gehalten, indem er sich gesagt hatte, dass es gut werden würde, dass er mit ihr fortziehen würde. Jetzt war nichts mehr davon übrig. Die Reise ans Meer. Das Haus in den Feldern. Sogar die Wohnung im Westviertel. Sie waren seine Motivation gewesen, weiterzumachen, nicht aufzugeben, irgendetwas zu erreichen. Jetzt war jeder Gedanke daran ein weiterer Schlag in den Magen, weil nichts davon jemals sein würde. Nemi hatte ihm nicht nur sich genommen, sondern alles.

Er ertrug das nicht. Wimmernd krümmte er sich zusammen, erstickte mit dem Kissen sein Schluchzen, weil er nicht wollte, dass Emila ihn hörte. Sie sollte sich keine Sorgen um ihn machen. Dagegen tun konnte sie ohnehin nichts. Das konnte niemand. Es war einfach so und nichts was sie, was er, was irgendjemand tat, würde noch etwas ändern.

Gegen Abend tauchte Jaz auf und fragte ihn, ob er mitkomme in die Stadt, aber Falrey schüttelte nur den Kopf, hatte keine Energie zu sprechen, irgendetwas zu tun, geschweige denn irgendjemandem gegenüberzutreten, der ihm womöglich an den Kragen wollte. Als Emila Anstalten machte, zu Bett zu gehen, rollte er sich von der Matratze und stieg aufs Dach, weil er nicht einmal den Gedanken ertrug, mit ihr in einem Raum zu sein, selbst wenn sie schlief.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt