Kapitel 2 - Poss, der Finder

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Er träumte. Monatelang – oder zumindest fühlte es sich so an – waren seine Nächte schwarz gewesen, oder die Träume darin nur unzusammenhängende Bilder, Splitter, die ihm entglitten ohne eine Erinnerung daran, wenn er aufwachte. Aber in der letzten Zeit waren sie zurückgekehrt, hatten sich zusammengefügt zu Handlungen, Geschichten, zusammenhängenden Szenen, längeren Verkettungen, die einer gewissen Logik folgten und die ihm manchmal nach dem Erwachen noch im Kopf herumgeisterten. Der Inhalt hingegen war nach wie vor verwirrend. Es ging um Hexen und Flüsse, Sterne, brennende Augen und Messer, staubige Räume, oder er irrte durch das Liliths auf der Suche nach irgendetwas, das er nicht finden konnte, und von dem er nicht mehr wusste, was es war, sobald er sich die Frage stellte.

Irgendwann am Nachmittag erwachte er zum ersten Mal so, dass sich die Idee aufzustehen akzeptabel anfühlte. Trotzdem war er versucht, sich einfach nochmal auf die andere Seite zu drehen, die Decke über den Kopf zu ziehen und weiter zu schlafen. Schliesslich musste er nirgends pünktlich sein, er hatte frei. Wo waren eigentlich die Tage hingekommen, an denen er es beängstigend gefunden hätte, nach dem Mittag noch zu schlafen? Du hättest es auch beängstigend gefunden, nur in die Nähe eines Bordells zu gehen.

Er drückte das Gesicht ins Kissen und verdrängte die Frage, wozu er eigentlich aufstehen wollte, denn es war eine, die er sich nicht stellen durfte, besonders nicht wenn er frei hatte. Sonst kam er überhaupt nicht mehr von der Matratze.

Gewohnheitsmässig vorsichtig hob er den Kopf und schielte hinüber zu Jaz Bett, aber es war leer. Er setzte sich auf und fuhr sich durchs Haar. Heute Abend würde er mit Jaz losziehen. Er fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, einzuwilligen. Hatte Jaz wirklich vor, ihm irgendetwas zu erzählen? Oder war es nur ein Vorwand gewesen, weil er ihn brauchte, um Wache zu stehen oder für wer wusste was? Falrey schnaubte innerlich. Er rechnete mit zweiterem. Und selbst wenn nicht. Egal was er sagt, oder was er tut. Du wirst ihm nicht vertrauen, schwor er sich. Nie wieder. Es hatte lange genug gedauert, bis er das Gefühl, das sich so schleichend gebildet hatte, wieder losgeworden war, und akzeptiert hatte, dass nichts, was er jemals von Jaz gehört oder gesehen hatte, sicher wahr war, dass alles gelogen sein konnte, alles.

Er zog die Stiefel zu sich heran und die Messer aus dem Spalt, schnallte sie um und schnürte die Bändel, dann stand er auf, zog sich die Tunika über den Kopf und legte die Weste um, bevor er über beidem den Gürtel festzurrte. Gedankenverloren strich er über den Knauf des Dolches unter der Naht, die ihn verdeckte, und zog das Heft ein Stück heraus. Schlichter Stahl, umwickelt mit Leder, dunkelrot, die Farbe von Blut. Er schob es zurück und ging hinunter.

Jaz war in der Küche. Er sass in der schattigen hinteren Ecke, die Beine angewinkelt und bastelte an einem Stück Draht herum ohne aufzublicken, als Falrey eintrat. Den Augenblick nutzend blieb Falrey stehen und musterte ihn. Er wirkte friedlich in dem Moment und bei Tageslicht, in seine Arbeit vertieft, beinahe ungefährlich. Dann blickte er auf und Falrey musste sich zusammenreissen, um neutral und gleichgültig zu fragen: „Wann brichst du auf?"

Kein wir. Es gab kein wir. Hatte es nie wirklich gegeben.

„Sonnenuntergang", antwortete Jaz.

Falrey nickte knapp, nahm einen Teller vom Regal und füllte ihn mit kaltem Eintopf. Er sah Jaz nicht an, während er ass, behielt ihn nur aus dem Augenwinkel im Blick, und Jaz hielt es gleich, während er offenbar versuchte, ein Stück Holz an einem der Drahtenden zu befestigen.

Falrey war bereits fertig mit Essen und dabei, den Teller auszuspülen als ein Schlüssel in der Haustüre zu hören war. Einige Atemzüge später trat Emila in den Raum und hielt einen Moment inne, ihr Blick glitt von Jaz zu Falrey und wieder zurück, überrascht, sie in einem Raum zu sehen.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt