Er kniete auf einem kahlen Feld. Um ihn schlichen Wölfe, er sah die Schatten ihrer Bewegungen in der Nacht, hörte ihren Atem, spürte ihren Hunger. Er wusste, dass er sich aufrappeln sollte, rennen oder zumindest kämpfen, doch er konnte sich nicht bewegen, denn eine Eisenstange hatte sich durch seinen Leib gebohrt, das andere Ende tief im Erdboden versenkt.
Er spürte mehr den Schaden, den sie angerichtet hatte, als den Schmerz. Mit einem letzten, verzweifelten Funken Genugtuung dachte er, dass sie versagt hatten. Vasser hatte ihnen befohlen, ihn nicht umzubringen. Aber seine Haut hatte nachgegeben, sie hatten ihn aufgespiesst. Er hatte gewonnen.
Dann stürzten sich die Wölfe auf ihn. Er spürte, wie sie in sein Fleisch bissen, es zerrissen, und es tat so weh, dass er schreien wollte vor Schmerz, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Alles, was er zustande brachte, war ein mattes Stöhnen.
Dann begriff er, dass die Wölfe nur ein Traum waren. Der Schmerz war es nicht. Alles tat weh. Er konnte nicht einmal sagen, wo sein Körper aufhörte und endete, sein Gesicht fühlte sich an wie eine einzige, breiförmige Masse, und er wusste nicht, ob er noch alle Gliedmassen spürte, ob nicht irgendetwas fehlte. Alles tat weh. Die Seile brannten in den aufgeriebenen Wunden. Jeder Atemzug schmerzte, als wäre er ein weiterer Schlag vor die Brust. Jeder Herzschlag trieb einen glühenden Nagel durch seine Stirn, liess Blitze vor seinen Augen tanzen.
Er wollte nach Luft ringen, aber alles, was in seinen Hals geriet, war Blut, er hustete, würgte, spuckte. Im Schein der Öllampe glänzte etwas hell in dem dunkelroten Klumpen, der zu seinen Füssen landete. War das ein Zahn? Er hoffte, dass es ein Zahn war, denn er wollte nicht wissen, was die Alternativen gewesen wären.
Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle und obwohl es so wehtat, krümmte er sich zusammen, versuchte die Knie an die Brust zu ziehen und zu weinen. Er wollte, dass es vorbei war. Er konnte nicht mehr. Ich habe den Mund gehalten, flehte er zu er wusste auch nicht wem. Also bitte lasst mich einfach sterben.
Er wusste nicht, worauf er hoffte. Dass sein Herz aufhörte zu schlagen. Dass er verblutete. Vielleicht einfach nur darauf, wieder ohnmächtig zu werden, weiterzuschlafen, nicht mehr aufzuwachen, bis es endgültig vorbei war, bis jemand kam und ihn umbrachte, weil er keinen Wert mehr hatte.
Tränen rannen ihm über die Wangen. Das Salz brannte in den Platzwunden und auf seinen Lippen, erinnerte ihn daran, wie trocken seine Kehle war. Man sagte, es dauerte drei Tage, bis ein Mensch verdurstete. Wie lange war er schon hier? Er wusste es nicht, hoffte nur, dass es nicht mehr lange dauerte. Er konnte nicht mehr. Er wollte nach Hause. Zu dem schilfgedeckten Haus, vor dem Nemi auf ihn wartete, in einem Tal, das es niemals gegeben hatte. Das Schluchzen liess ihn würgen.
Die Dunkelheit kehrte zurück, nach endlosen Atemzügen der Qual. Er driftete irgendwo zwischen Traum und Realität, konnte nicht mehr sagen, wann er wach war und wann nicht. Es spielte eh keine Rolle. Beides war grausam und die Schmerzen blieben so oder so. Manchmal war er alleine, manchmal waren Leute da, schrien ihn an, schlugen auf ihn ein. Er wusste nicht, wer davon real war. Alles, was zählte, war, dass er den Mund hielt.
Irgendwann fragte er sich, ob er vielleicht längst in der Hölle war und das hier seine Strafe für Lilles Tod, zu schweigen bis in alle Ewigkeit, ohne jemals zu erfahren, dass es keine Rolle mehr spielte.
Dann drang eine fremde Stimme zu ihm durch. „Gebt ihm was zu trinken, ihr Idioten! Sonst krepiert er euch, bevor ihr irgendwas rausgekriegt habt!"
Er spürte Wasser an seinen Lippen und schluckte instinktiv. Es tat so gut. Spülte das Blut aus seinem Mund, kühlte das brennende Fleisch, schuf ihm wieder Raum zum Atmen in der zugeschwollenen Kehle. Nach zwei Schlucken begriff er, was er tat, spuckte den dritten aus, versuchte den Kopf wegzudrehen. Er wollte nicht trinken. Er wollte sterben.
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Niramun II - Mörder und Bastard
FantasyFalrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halten und auch wenn er keine Freunde mehr hat in Niramun, so zumindest auch keine Feinde. Aber am Ende sind weder unruhestiftende Freier noch di...