Kapitel 58 - Freiheit

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Als er erwachte, war es bereits hell, aber die Sonne hatte die Talsenke noch nicht erreicht. Einen Augenblick lang glaubte er, Jaz sei gegangen, dann sah er ihn in einigen Schritten Entfernung an der Wand liegen, ein dreckiges, dunkles Stoffbündel im klaren Morgenlicht. Er schlief, den Dolch in der rechten Hand, die Linke geballt, als wollte er damit jemandem die Zähne einschlagen.

Falrey stand auf, streckte sich, dass seine Gelenke knackten und blickte hinunter auf die Stadt. Er war zu spät für die Hochöfen und fühlte sich ohnehin wie gerädert. Ein metallisches Kratzen liess ihn herumfahren und er sah Jaz, der sich halb aufgerichtet hatte und sich mit dem Dolch abstützte, während er ihn einige Augenblicke lang desorientiert anstarrte.

„Shak", murmelte er schliesslich und liess sich auf den Rücken fallen, um die Waffe wegzustecken, bevor er aufstand und erst einmal taumelte. Falrey zuckte in seine Richtung, um ihn festzuhalten, immerhin warensie verdammt hoch oben und da war kein Geländer, aber Jaz fing sich selbst und sah ihn fragend an. „Hunger?"

Falrey nickte und sie machten sich an den Abstieg.

Es dauerte eine Weile, bis sie für Falrey ein Stück Brot und für Jaz einen Krug Bier aufgetrieben hatten. Sie lehnten sich gegen die Wand neben der Strassentheke, um zu frühstücken, Falrey bot Jaz vom Brot an, aber der schüttelte nur den Kopf und trank seinen Becher leer.

„Du warst bei den Öfen?", fragte Jaz nach einer Weile.

Falrey warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Hatte er ihm etwa wieder nachspioniert?

„Kohlestaub", meinte Jaz nur.

Falrey blickte an sich herunter und musste einsehen, dass es offensichtlich war. Er konnte sich waschen, so viel er wollte, das schwarze Pulver klebte an Kleidern und Haut wie Pech. Er nickte.

„Und?", fragte Jaz.

„Anstrengend", antwortete Falrey kauend.

„Und beschissen bezahlt, oder?"

Falrey nickte. „Aber besser als nichts." Er kaute. „Was machen die eigentlich mit all dem Stahl?" Er hatte gesehen, wie der grosse Topf geleert wurde. Die Stränge, die sie daraus gossen und lange Blöcke trennten. Es waren gewaltige Mengen.

„Schmieden und nach Norden verkaufen", antwortete Jaz.

„Wer verkauft?", fragte Falrey.

„Schmarotzer", sagte Jaz. „Die Fabriken gehören ihnen. Der Handel gehört ihnen. Der Stahl. Alles. Da kommt ihr verdammtes Geld her. Geld, das immer mehr wird und von dem du nie was sehen wirst, obwohl es nur existiert, weil du dir den Arsch aufreisst."

„Naja, eigentlich sehe ich es doch", meinte Falrey schulterzuckend.

Jaz schnaubte. „Wie denn?"

„Wenn ich es ihnen stehle", sagte Falrey.

Jaz lachte und Falrey musste grinsen. Ziel erreicht.

Aber es war wirklich lustig, wenn er darüber nachdachte. Er wurde miserabel bezahlt für die Arbeit bei den Hochöfen und er bestahl diejenigen, die an dem ganzen Geschäft wirklich verdienten. Also waren die Einbrüche im Grunde nichts anderes als eine selbstbestimmte Lohnerhöhung?

Es fiel ihm nicht schwer, das so zu sehen. Ihm taten nur all die Leute leid, die sie nicht hatten. Die den Schmarotzern ausgeliefert waren und mit dem bisschen auskommen mussten, das die Arschlöcher freiwillig herausrückten, während sie selbst ihre fetten Hintern in Polstersesseln und Luxus suhlten. Zum ersten Mal begriff er, was es wirklich bedeutete, auf der Seite der Schatten zu stehen, zu können, was Jaz oder Poss konnten und was sie an ihn weitergaben. Es bedeutete, eine Wahl zu haben. Man konnte sich einordnen und nach den Regeln der anderen leben und arbeiten, aber man konnte auch darauf pfeifen. Die Fähigkeit, in eine Schmarotzervilla einzusteigen, gab einem Macht über diese Leute, die sonst viel zu viel davon hatten, und diese Macht bedeutete Freiheit.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt