Kapitel 42 - Inayenda mit den Goldaugen

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Die nächsten Tage und Wochen waren für Falrey die besten seit Jahren, vielleicht sogar die besten in seinem ganzen Leben. Er brauchte eine Weile, um zu diesem Schluss zu gelangen, und er überraschte ihn, denn es lief bei weitem nicht alles perfekt. Aber er hatte Freunde.

Er hatte die Mädchen vom Liliths, die er alle paar Tage sah und die ihn wirklich zu mögen schienen – nicht alle gleich natürlich, aber im Grossen und Ganzen. Selbst mit Djora kam er gut zurecht. Irgendjemand hatte ihm scheinbar die Geschichte mit dem Messer gesteckt und seither empfand er einen gewissen Respekt für Falrey, der sich auch in seinem Verhalten niederschlug.

Er hatte die Clique um Mishu, die ihn allmählich als vollwertiges Mitglied der Runde betrachtete, nicht mehr nur als Jaz Anhängsel. Einmal ging er sogar alleine in den Hopfentopf, als er frei hatte und Jaz keine Zeit, und sie reagierten überrascht, aber keiner machte ein Aufhebens darum und er fühlte sich akzeptiert. Die Jungs interessierte es nicht, wer er war, woher er kam, was er tat. Sie lachten und tranken zusammen, fachsimpelten über Bier und weibliche Hintern und lachten über Witze, die so lustig wie bescheuert waren.

Er hatte Poss, der ihm entgegen seiner Worte immer mal wieder mitnahm auf Erkundungsgänge und Beutezüge. Er brachte ihm nicht direkt etwas bei, aber Falrey befolgte Jaz Anweisung und beobachtete, und er lernte eine Menge dabei. All die Informationen, die Jaz aus der Überwachung eines Hauses zog und die Falrey immer völlig zufällig und ohne Zusammenhang mit dem, was er gesehen hatte, erschienen waren, machten plötzlich Sinn, er begann die nächtlichen Verhaltensmuster und Gewohnheiten der Oberschicht Niramuns zu verstehen und richtig einzuschätzen, während er gleichzeitig ein Gefühl dafür entwickelte, wo und was es sich zu stehlen lohnte. Er sog alles davon in sich auf und liess umgekehrt keine Gelegenheit aus, dem Dieb zu beweisen, dass er nützlich war.

Er hatte Jaz, der im Allgemeinen wesentlich besser aufgelegt schien als auch schon, auch wenn das nicht immer zweifelsfrei zu bestimmen war. Sie trainierten am Nachmittag zusammen und an den Abenden, an denen Falrey nicht im Liliths arbeitete oder mit Poss unterwegs war, begleitete er ihn, zumindest wenn Jaz nicht gerade auf Mordmission war. Manchmal zogen sie durch die Schenken und tranken, manchmal sassen sie die halbe Nacht auf irgendwelchen Dächern und unterhielten sich über die nächtliche Stadt. Jaz erzählte selten von seiner Arbeit, Falrey wusste lediglich, dass er Aufträge für verschiedene Leute erfüllte.

Worüber er hingegen manchmal berichtete, war seine Such nach dem Mann mit der Stahlklaue, dem Jäger, der einst eine Ratte gewesen war. Er hatte eine Spur gefunden, aber sie war älter, als er erwartet hatte und erzählte von einem Auftragsmörder, der seinen Job zu einer Zeit an den Nagel gehängt hatte, als Jaz gerade erst begann für die Puppenspieler zu arbeiten, damals noch im Arbeiterviertel, wo das ganze Geschäft eher den Charakter von leicht chaotischer Kleinkriminalität hatte, im Gegesatz zu den ausgeklügelten, strategischen Zügen, mit denen sich die Spieler im Norden gegenseitig in Schach hielten. Vor seinem Austritt hatte der Mann durchaus zu den Leuten gehört, deren Namen man kannte. Wo war er also in der Zwischenzeit gewesen? Warum war er nach fast fünf Jahren zurückgekehrt, um dann einen Auftrag anzunehmen, der ihn sein Leben kostete? Und wer hatte ihm diesen Auftrag gegeben?

Jaz wusste die Antworten darauf noch nicht, aber er war ihnen auf den Fersen und gleichzeitig wachsam, für den Fall, dass, wer immer ihn tot sehen wollte, dieses Ziel weiterverfolgte und den nächsten Schritt machte. Nicht, dass der Gedanke ihn sonderlich zu beunruhigen schien. Falrey hatte vielmehr den Eindruck einer Katze, die ihre Beute aus den Augen verloren hatte und nur darauf wartete, dass sie ihren Standort verriet, indem sie sich bewegte. Nun, dass Jaz einen gewissen Dachschaden hatte, was den Umgang mit Risiken betraf, war nichts neues. Falrey bemerkte einmal scherzhaft, dass er nicht verstehen könne, wie jemand, der Gefahren so wenig aus dem Weg ging, sondern im Gegenteil geradezu frontal darauf zulief, immer noch lebte. Jaz lachte nur schnaubend und meinte: „Ich weiss, mit welchen Gefahren ich fertig werde. Nur weil du die, denen ich ausweiche, nicht siehst, heisst das nicht, dass es sie nicht gibt."

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt