Kapitel 34 - Einfach wäre ja langweilig

110 21 7
                                    

Er rappelte sich auf und folgte Jaz. Sie überquerten das Dach dem Flusslauf folgend, kletterten auf ein höheres und von dort auf eine Plattform an der Kraterwand. Die Feuer von den Bestattungen reichten nur noch schwach bis hierher, aber Falrey hörte den Fluss in der Tiefe neben sich rauschen, als er Jaz über weitere Leitersprossen die Felswand hinauf hinterherstieg. Dann begriff er plötzlich, dass die Dunkelheit über der Schlucht nicht nur von mangelndem Licht herrührte, sondern dass da überhaupt nichts war, was es hätte reflektieren können. Nur wenige Schritte neben ihm klaffte ein gewaltiges Loch in der Kraterwand, in dessen Schlund der Fluss verschwand.

Die Sprossen schwenkten nach links und kamen der Kante immer näher. Falrey blickte nach unten. Da waren keine Dächer mehr unter ihnen, nur viele, viele Schritte nichts, gefolgt von Felsen und tosendem Wasser. Er fasste die Sprossen fester und richtete den Blick wieder nach oben, heftete ihn an Jaz Stiefel, die vor ihm kletterten, immer höher und in einem Schlenker um die Kante herum und in das Loch hinein. Die Luft wirkte stiller dort, obwohl die Geräusche des Wassers von den Felswänden zurückschlugen und verstärkt wurden. Falrey befürchtete, dass die Sprossen nun rutschig würden, aber sie waren so weit oben, dass noch nicht einmal der Dunst des Wassers sie erreichte, am Rand einer gewaltigen Höhle, die in der Dunkelheit verschwand, ohne dass sich irgendein Ende hätte erahnen lassen.

Das Geräusch von Jaz Tritten veränderte sich merklich, als die Leiter begann überhängend zu werden. Falrey unterdrückte einen Protest und hielt sich fester, aber die Hände waren nicht das Problem. Mit den Fingern konnte er auch an einem Ast hängen, aber seine Stiefel fanden kaum noch halt auf den schrägen Sprossen und drohten bei jedem Nachgreifen abzurutschen. Und plötzlich, von einem Atemzug auf den nächsten, machte ihm die Tiefe Angst. Der Gedanke an das gähnende Nichts unter ihm, die Felsen, an denen er zerschellen und wie lange der Fall dauern würde...

Er war sich nicht sicher, ob er wegen der Anstrengung zu zittern begann oder vor Angst, aber es wurde nur schlimmer mit jedem Tritt, und eines verstärkte das andere. Die Leiter neigte sich immer weiter. Würde es etwa so über die gesamte Wölbung... nein, das konnte nicht Jaz ernst sein. So etwas konnte er nicht schaffen! Allerdings... wusste Jaz das auch?

Mit zusammengebissenen Zähnen zog er sich eine Sprosse weiter und wäre tatsächlich beinahe abgeglitten mit der Stiefelsohle. Zitternd klammerte er sich fest, rang nach Atem und mit Tränen der Angst. Seine Knie waren weich wie Butter und er konnte kaum noch etwas sehen oder hören über das Singen in seinen Ohren. Er konnte nicht mehr, war sich nicht einmal mehr sicher, ob er es wieder irgendwie zurück schaffen würde. Seine Muskeln bebten vor Anstrengung und alles an ihm verkrampfte sich. Nicht einmal seine Stimme schien noch zu funktionieren. „J...Jaz?", japste er.

Die Antwort kam prompt. „Ja?"

Falrey schluckt, versuchte das Zittern unter Kontrolle zu bekommen und scheiterte. Was er herausbrachte, war kaum mehr als ein Wimmern. „Hilf mir."

Ihm war klar, dass Jaz nicht wirklich etwas tun konnte. Er konnte ihn nicht tragen, noch nicht einmal stützen, weil auf der Leiter nur Platz für einen war. Aber er brachte es nicht mehr fertig zu denken, geschweige denn sich zu bewegen, denn alles in ihm war nur noch Angst.

Einen Moment lang herrschte Stille und Falrey begann beinahe zu heulen, denn allmählich wurden seine Hände rutschig vom Schweiss, dann hörte er Schritte, als Jaz wieder ein Stück herunterkam. „Siehst du meine Stiefel?"

Seine Stimme klang angestrengt, aber ruhig. Falrey blickte nach oben und sah Jaz Füsse auf der Sprosse über seinen Händen. Er nickte schluckend.

„Halt dich mit der linken Hand fest und greif mit der Rechten nach, sobald ich den Fuss wegnehme."

Falrey nickte erneut, atmete tief ein und verlagerte das Gewicht auf die linke Seite, bevor er zitternd losliess und nach der Metallstange griff, die Jaz ihm freigegeben hatte. Seine Finger streiften das Leder von Jaz zweitem Stiefel.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt