Kapitel 54 - Die Hochöfen

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Am nächsten Tag beendeten sie die Arbeit an den Kanälen, der Bauer dankte ihnen, bezahlte sie und schickte sie dann fort. Falrey begriff, dass das so lief. Man baute als Tagelöhner keine Verbindung zu seinem Arbeitgeber auf und umgekehrt genauso wenig. Wenn der Mann das nächste Mal jemanden brauchte, würde er andere dafür nehmen, die ihm gerade über den Weg liefen, egal ob sie diesmal ihre Arbeit gut gemacht hatten oder nicht. Es war so anders als das, was er im Liliths erlebt hatte, dafür auf eine gewisse Weise ähnlich wie die Beziehung zwischen Jaz und seinen Arbeitgebern, solange sie nicht versuchten, ihn für sich zu beanspruchen.

Er fragte sich, ob Jaz eigentlich irgendeinen Auftrag ausgeführt hatte in den letzten Tagen oder auch nur denjenigen zu Ende gebracht, bei dem er Rosh begegnet war, aber ihm war klar, dass die Antwort darauf vermutlich nein lautete. Ob Emila wohl noch genügend Geld hatte? Immerhin war jetzt seit ganzen zehn Tagen nichts mehr hereingekommen. Er beschloss ihr seinen Lohn zu geben. Und vielleicht war es auch keine schlechte Idee ihr zu sagen, woher das Geld kam, bevor sie sich zu viele Sorgen machte.

Auch am nächsten Tag stand er früh auf, entschied sich aber dafür, Peras Ratschlag zu befolgen und sich das Arbeiterviertel anzusehen. Grob wusste er noch, in welcher Richtung die Hochöfen lagen, trotzdem verirrte er sich in den schmalen, dunklen Gassen und erreichte die Backsteinhallen erst bei Sonnenaufgang. Vor mehreren der Gebäude hatten sich Schlangen von Leuten gebildet, überwiegend Männer, aber auch einige Frauen, und mangels einer Ahnung, wie das hier funktionierte, stellte Falrey sich einfach zu einer hinzu und versuchte nicht aufzufallen. Niemand jagte ihn zum Teufel oder sah ihn an, als hätte er hier nichts zu suchen, und die Schlange rückte allmählich vor, bis er unversehens zuvorderst stand, einen dreckigen Jutesack in die Hand gedrückt bekam und zu einer Gruppe von Arbeitern geschickt wurde.

Als sie zu zehnt waren, stellte sich ein älterer Mann vor sie hin und verkündete mit deutlicher Stimme: „Ich bin Lons und geb die Befehle. Wenn ihr sie befolgt und nicht herumschlampt, kriegt ihr am Abend euren Lohn. Irgendwas unklar?"

Niemand sagte etwas.

„Dann los, wir haben zu tun!"

Sie schnappten ihre Säcke und liefen Lons hinterher quer durch die Gelände der Hochöfen nach Südwesten. Je näher sie dem Kraterrand kamen, desto dreckiger wurden die Strassen und desto mehr mischte sich Staub in den Rauch, der in der Luft hing. Schliesslich bogen sie um eine Reihe schiefer Mietshäuser und standen unversehens vor einer hohen Mauer, die oben mit Metallspitzen bewehrt war. Ein grosses Tor darin stand offen und Leute mit bereits vollen Säcken auf dem Rücken kamen ihnen entgegen, gebückt unter dem Gewicht, die Hände schwarz von Kohle.

Hinter der Mauer erhob sich ein schwarzer Hügel, an dessen Fuss Männer mit Schaufeln standen und die Säcke der Schlepper füllten. Unter Lons Kommando stellten sie sich an und hielten ihre Säcke auf. Der Arbeiter mit der Schaufel sah Falrey nicht an, als er seinen Sack füllte und er reagierte auch nicht, als ein Teil der Kohlen danebenging und über den Boden rollte, was auch keinen Sinn gemacht hätte angesichts des Bergs, der hinter ihm aufragte. Falrey wartete, bis er sich abwandte und folgte dann dem Beispiel der anderen, indem er hastig seinen Sack zuknüpfte, bevor er ihn am Tragriemen hochhob und sich auf die Schulter wuchtete.

Er stolperte und wäre beinahe vornübergefallen. Irgendjemand lachte und er musste sich ernsthaft zusammenreissen, um nicht eine rüde Beleidigung zurückzurufen, schob stattdessen das Gewicht in eine ausbalanciertere Position und hätte geschworen, dass das Ding um einiges schwerer war als Pera.

Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Lons rief zum Aufbruch und sie marschierten los. Falrey setzte einen Fuss vor den anderen, den Blick vor sich auf den Boden gerichtet, während er dem Vordermann folgte, um nicht zu stolpern und das Gleichgewicht zu verlieren. Der Rückweg zum Hochofen erschien ihm um einiges länger als die Strecke, die sie eben gelaufen waren, und bald schmerzte seine Schulter vom Gewicht. Er überlegte sich, den Sack auf die andere Seite zu nehmen, befürchtete aber, dass er ihn gar nicht wieder hochbrachte, wenn er ihn jetzt absetzte, ganz davon abgesehen, dass er damit vermutlich die ganze Reihe aufhielt, und wenn er ehrlich war, hatte er Angst vor Lons Reaktion darauf. Der Mann wirkte nicht bösartig, aber er hatte etwas hartes, verbissenes an sich, wie ein alter Wachhund, der einem beim ersten Fehltritt nach den Knöcheln schnappte.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt