Kapitel 33 - Totenfeuer

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Vor ihnen lag eine Schlucht, tief gefressen ins Gestein der Kraterwand, erhellt von Feuerschein, und unten in der Tiefe rauschte der Fluss. Er hatte nichts mehr gemein mit dem trägen Strom, als der er sich weiter südlich durch sein breites Bett wälzte, sondern jagte reissend schnell durch die viel zu schmale Kluft, und wo er gegen die steinernen Wände schlug, verwandelte sich das schwarze Wasser in weissen Schaum. Auf ihrer Seite ragte der Fels dunkel und fast senkrecht auf, in den Steilhang gegenüber jedoch waren Plattformen gehauen, auf denen grosse Feuer brannten, und ihr Schein leckte in hellen Zungen über den gelbgrauen Stein. Einige davon lagen nur knapp über der Wasserkante, andere fast auf der Höhe, auf der sie sich befanden. Eine Vielzahl von Wegen und Treppen führte zu ihnen hinunter und Falrey sah mehrere Prozessionen, angeführt von Fackelträgern, die den Marsch nach unten antraten, sowie andere Gruppen von Menschen, die sich auf dem entgegengesetzten Weg befanden. Er erkannte auch auf die Distanz genug, um zu begreifen, worum es sich dabei handelte.

„Hier verbrennt Niramun seine Toten", sprach Jaz es aus und kauerte sich an den Dachrand. „Diejenigen, die sich das Brennmaterial leisten können."

Falrey setzte sich neben ihn und eine Weile lang sahen sie nur zu, wie eine der Prozessionen ihre Plattform erreichte und die Einäscherung vorbereitete. Stängeliges Holz wurde aufgeschichtet, dazwischen Schilf, dann bettete man den in ein Tuch gehüllten Leichnam darauf. Eine Reihe von Leuten, Familienangehörige vermutlich, traten vor und legten etwas zu dem Toten, bevor er mit einer Flüssigkeit übergossen und mit weiterem Schilf und Holz bedeckt wurde. Erneut kippte jemand etwas aus einem Tonkrug über den Stapel und Falrey vermutete, dass es Lampenöl war, denn nach einer abschliessenden Ansprache steckte jemand das Holz mit einem Span in Brand und die Flammen verbreiteten sich schneller als natürlich, erfassten bald den Leichnam und dann den Rest des Holzes.

Nach einer Weile warf jemand weiteres Schilf auf den Stapel, das nass sein musste, denn es qualmte fürchterlich, und nach anfänglichem Rätseln begriff Falrey, dass vermutlich genau das der Sinn war: mit dem Qualm den Geruch von verbranntem Fleisch zu überdecken. Sein Blick wanderte weiter zu anderen Feuern, bei denen der Prozess der Verbrennung bereits weiter fortgeschritten war. Dann und wann wurde Holz nachgelegt und schliesslich brannte der Stapel herunter auf einen Haufen Kohle und Asche, der von jemandem über den Rand der Plattform gefegt wurde und in die Tiefe fiel, wo ihn die schäumenden Fluten des Flusses mit sich rissen. Und nichts blieb zurück von dem Mensch, der gewesen war, kein Grab, keine Markierung, nicht einmal Knochen. Nur eine Spur aus Asche, die das Wasser mit sich trug.

„Jaz?", fragte er.

„Hm?", meinte Jaz.

Falrey sah ihn an. „Also bedeutet, eine Ratte zu sein, aus dem Sur zu stammen?"

Jaz nickte.

„Woher wusstest du, dass dieser andere Jäger eine Ratte ist? Der mit der Kapuze?"

„An seinen Bewegungen", antwortete Jaz. „Er hat es an mir erkannt und ich an ihm. Egal wie lange es her ist, in dem Moment, in dem es um dein Leben geht, verfällst du in alte Muster."

„Was meinst du damit?", fragte Falrey.

Jaz verzog das Gesicht und rang nach Worten. „Andere Jäger lernen zu kämpfen, wie man ein Handwerk lernt. Als eine Methode, Geld zu verdienen. Als Ratte... ist es ein Teil von dir. Das immer voll da sein. Immer alles hinter das zu legen, was du tust. Nicht nur mit dem Messer zu kämpfen, sondern mit allem, was du bist. Und wenn du das kennst, dann erkennst du es bei anderen. Daran, wie sie sich auf einen Angriff vorbereiten, wie..."

Ihm gingen die Erklärungen aus und er tat es einfach. Ohne aufzustehen oder sich gross zu bewegen und trotzdem spürte Falrey die Veränderung sofort, die Anspannung, die Aggressivität. Das Gefühl, nicht mehr neben einem Menschen zu sitzen, sondern neben einem Raubtier, das bereits war zu kämpfen oder zu fliehen. Jaz starrte ihn an und Falrey gefror ein, die Muskeln gelähmt vor instinktiver Angst. Es kostete ihn ein erschreckendes Mass an Willenskraft, sich aus der Erstarrung zu lösen und die Kälte, die seinen Nacken umklammerte wie eine eisige Hand, abzustreifen. Er schüttelte sich. „Ja, ich denke, ich weiss, was du meinst."

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt