Kapitel 6 - Saufhäuser nach Vitar

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Die nächsten Tage über tat er im Allgemeinen nicht viel ausser schlafen, arbeiten und essen, wobei letzteres ihn dazu zwang, das Haus zu verlassen und sich im Quartier zurecht zu finden. Schnell stellte er fest, dass er nicht der einzige war, der erst nachmittags aus dem Bett kam, viele Geschäfte öffneten erst um Al und vor Min hatte nicht einmal der Bäcker auf. In den Vierteln von Niramuns Nachtleben arbeiteten die Leute bis spät und dementsprechend war der Morgen eine Tageszeit, den die meisten verschliefen. Das galt auch für die Mädchen im Liliths. Die einzige, die früher wach war, war Muyma. Routiniert und unter leisem Geklapper fuhrwerkte sie in der Küche herum, bereitete die Mahlzeiten des Tages zu, und manchmal, wenn Falrey irgendwann am Vormittag, geweckt durch seinen knurrenden Magen, die Treppe hinunter stolperte, steckte sie ihm etwas zu oder liess ihn einen Teller probieren, wobei sie ihm mit Gesten und einem breiten, zahnlosen Grinsen zu verstehen gab, dass Jelerik nichts davon zu erfahren brauchte. Er revanchierte sich, indem er Wasser holte und Einkäufe erledigte.

Am fünften Abend gab Jelerik ihm wieder Lohn, am siebten hatte er frei und er beschloss, dass das eine günstige Gelegenheit war, einem Badehaus einen Besuch abzustatten, denn das letzte Mal war... verdammt lange her. Er streifte eine Weile durch die Strassen, bis er eines fand, ein dreistöckiges Gebäude mit einer unscheinbaren Fassade, erkennbar durch ein kleines, buntes Metallschild über der Türe, das einen Zuber und zwei Bürsten darstellte.

Er trat ein, bezahlte am Tresen und fasste Badetuch und Leinenhose, bevor er sich in den Umkleideraum begab. Das System hier war ein wenig anders als bei Eirun, denn anstatt eines grossen Raumes mit mehreren Zubern war der hintere Teil des Gebäudes in zwei getrennte Bereiche für Männer und Frauen geteilt, mit jeweils einem steinernen Becken, das erhöht auf einem Podest stand und über eine Leiter erreichbar war. Falrey liess sich vorsichtig ins warme Wasser gleiten, denn so, wie es aussah, wurden die Becken von unten her beheizt und er rechnete damit, dass der Boden siedend heiss war, aber zu seiner Erleichterung fanden seine Füsse Holzplanken vor, auf denen es sich bequem stehen liess.

Er entfernte sich vom Einstieg zu einem Platz möglich weit weg von den anderen drei Männern, die sich im Bad aufhielten, und deponierte den Schwamm und die Seife aus der Umkleide in der dafür vorgesehenen Rinne am Beckenrand, bevor er eine dem Stein entlang verlaufende Holzbank ertastete und sich darauf setzte. Mit einem entspannten Seufzen lehnte er sich an den Rand, legte den Kopf in den Nacken und folgte mit den Blicken dem Dampf, der von der Wasseroberfläche aufstieg. Der Raum erstreckte sich über die Höhe von zwei Stockwerken und im dämmrigen Leicht, das durch eine Fensterreihe im oberen Stock einfiel, war ein verblasstes Deckengemälde auszumachen, in dem Falrey nach einigem Rätseln ein Geflecht von Ästen erkannte, durch das ein blauer Sommerhimmel blitzte. Apfel oder Kirsche, dachte er, denn die genaue Farbe der hellen Blütenblätter war nicht mehr auszumachen und der Maler hatte sich ohnehin die Freiheit genommen, sie in tiefgrünem Sommerlaub zu platzieren.

Er schloss die Augen und liess sich treiben, genoss das warme Wasser und die plätschernde Ruhe, nur durchbrochen vom gelegentlichen Räuspern oder Seufzen der anderen Badenden. Er hatte das Wasser immer gemocht, so weit er sich zurück erinnern konnte, egal in welcher Form. Als sprudelnde Quelle, prasselnder Regen, als reissender Fluss im Frühling, wenn die Schneeschmelze das Bett füllte bis zum Rand. Merkwürdig, dass man etwas auch dann noch lieben konnte, wenn man eine der schrecklichsten Erinnerungen seines Lebens damit verband...

Er hielt den Gedanken an diesem Punkt an. Betrachtete ihn, akzeptierte ihn und legte ihn beiseite, wie einen Hühnerknochen, den man säuberlich abgenagt hatte, bis kein Fleisch mehr daran war, und dann weglegte, um ihn später im Wald zu entsorgen. Dann tastete er nach der Seife und begann sich zu waschen.

Als er sauber und frisch zum Liliths zurückkehrte, war es bereits dunkel und die Laterne vor dem Eingang brannte, zum Zeichen, dass es geöffnet hatte. Er trat durch den Hintereingang ein und stieg hinauf in sein Zimmer, wo er seine Arbeitsstiefel anzog und in die Wachsjacke schlüpfte. Beim Hinausgehen warf er einen kurzen Blick in den Empfangsraum und grüsste Jelerik, der dort wie üblich an Falreys freien Abenden in einem hellen Hemd und dunklen Hosen die Aufgabe des Wächters selbst übernahm, dann verliess er das Haus durch die Küche.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt