Kapitel 80 - Der Wert von Fortschritt

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Jaz tauchte auch die nächsten Tage über nicht auf und Falrey gewöhnte sich an den neuen Rhythmus, bei dem er erst nach Epa aufstand, die ganze Nacht über arbeitete, um gegen Pjar todmüde auf seine Matratze zu fallen. Darüber, dass der Lohn so miserabel war, regte er sich nicht mehr auf. Es war so. Er konnte es nicht ändern. Es brachte nichts, darüber nachzudenken.

Was er an Freizeit hatte, verbrachte er mit Nemi, wenn sie da war, oder er kochte mit Emila. Es ging ihr wirklich gut. Selbst Jaz Abwesenheit nahm sie weniger mit als sonst. Er selbst war zwiegespalten, was das betraf. Er wusste, dass Jaz niemand war, um den man sich Sorgen machen musste, wenn jemand alleine klar kam, dann er. Aber er machte sie sich trotzdem, wenn er alleine zu den Hochöfen marschierte. Während der Arbeit selbst hatte er glücklicherweise wenig Kapazität für Gedanken. Nicht weil sie interessant gewesen wäre, es kostete ihn schlicht zu viel Energie, mitzuhalten, um noch irgendetwas für Denken übrig zu haben. Manchmal sass er in der Mitternachtspause am Brunnen und fragte sich, wo die vergangenen Zeiten hingekommen waren, bis ihn seine schmerzenden Glieder wieder daran erinnerten.

In einer dieser Pausen setzte sich plötzlich jemand neben ihn. „Na, auch keine Kollegen?"

„Was?", fragte Falrey irritiert und blickte von seinem Brötchen auf, an dem er benommen gekaut hatte. Ein überraschend munteres Grinsen blitzte ihm im spärlichen Licht entgegen. Es gehörte zu einem verschwitzten Gesicht mit blonden, kurzgeschorenen Haaren. Falrey stellte fest, dass ihm der Typ schon bei der Gruppeneinteilung aufgefallen war, weil er die meisten anderen überragte, aber bisher hatte er keinen weiteren Gedanken an ihn verschwendet. Er war gross, aber nicht schlaksig und vermutlich im Mishus Alter. Und fast verdächtig gut gelaunt dafür, dass sie erst die Hälfte der Schicht hinter sich hatten.

„Naja, du sitzt alleine", meinte er, bevor er in die Runde deutete. „Die anderen haben alle ihre Grüppchen."

Das war Falrey auch schon aufgefallen, aber es störte ihn nicht, also zuckte er nur mit den Schultern.

„Ich bin fett", meinte der Blonde.

„Was?!", fragte Falrey endgültig verwirrt. Der Typ war hochgewachsen und breit, aber ganz bestimmt nicht dick.

Er fing Falreys Blick auf und lachte. „Vett, nicht fett. Mit v. Das ist mein Name, ich heisse so."

„Oh", meinte Falrey und lief rot an. Er ergriff die ihm angebotene Hand und schüttelte sie. „Falrey."

„Freut mich", meinte Vett. Den Rest der Pause verbrachten sie wieder schweigend.

Falrey begegnete Vett wieder in den nächsten Nächten. Sie waren auf der selben Strecke unterwegs, allerdings in verschiedenen Gruppen, was Vett nicht davon abhielt, ihm fröhlich zuzuwinken, als er ihn bemerkte. Verblüfft darüber, dass sich überhaupt jemand an ihn erinnerte, hob Falrey ebenfalls eine Hand, worauf ihm beinahe der Kohlesack von der Schulter rutschte. Hastig richtete er ihn wieder und eilte weiter. Diesmal hatte er bei der Zuteilung einen besonders schrecklichen Vorarbeiter erwischt, der geradezu Spass daran zu haben schien, Trödler mit seinem Stock zu malträtieren, da gab er sich lieber Mühe, nicht aufzufallen. Trotzdem bekam er den Stock zweimal zu spüren, bis sie entlassen wurden und er sich mit blauen Flecken und schäumend vor Wut auf den Heimweg machte.

Emila schlief noch, als er sich ins Haus schlich. Jaz war immer noch nicht da. So lange war er noch nie fort gewesen, seit Falrey hier war. Musste er sich vielleicht doch Sorgen machen? Aber selbst wenn, was hätte er tun sollen? Er hätte nicht einmal gewusst, wo beginnen mit der Suche. Eine leichte Verzweiflung schlich sich in seine Gedanken. Was, wenn Jaz einfach nicht mehr auftauchte, nie wieder? Er wollte ihn nicht verlieren. Nicht so.

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt