Jaz blickte auf und in dem Moment, in dem sie sich ansahen, wusste Falrey, dass er etwas verpasst hatte. Da war etwas zwischen ihnen, das beim letzten Mal noch nicht vorhanden gewesen war. Falrey konnte nicht sicher benennen, was es war, aber auf jeden Fall kannten sie sich wesentlich besser, als er Seniah kannte.
Wortlos schnippte Jaz dem Wirt eine Münze zu und schob den Krug, den er zusammen mit dem Rückgeld dafür erhielt, Seniah zu. Sie nahm ihn dankend entgegen und trank einen Schluck, bevor sie Falrey erneut anlächelte, auf eine so bedeutungsschwere Art, dass er sich unwillkürlich fragte, ob Jaz ihr irgendetwas über ihn erzählt hatte – und wenn ja was.
„Seid ihr in Schwierigkeiten geraten?", fragte sie dann, mit einem Blick auf Falreys Gesicht und die letzten Reste von Blut, die noch an Jaz Nasensteg klebten. Der Ton der Frage war anders, als Falrey ihn jemals gehört hatte. Nichts schwang darin von Emilas Vorwurf, aber auch nichts von Nemis naiver Sorge. Seniah wusste, was wirkliche Schwierigkeiten waren, und sie wollte keine Antwort, die in erster Linie ihre Beunruhigung verringerte, sondern die Wahrheit.
„Nein", antwortete Jaz und griff sich an die Nase, um das eingetrocknete Blut zwischen den Fingerspitzen zu zerreiben, bevor er Falrey einen Blick zuwarf. „Ham uns nur geprügelt."
Man hörte ihm an, dass er angetrunken war. Seniah trank einen Schluck Bier. „Gegen wen?"
„Gegenseitig", antwortete Jaz und leerte seinen Krug.
Seniah erwiderte nichts darauf, aber ein feines Lächeln schlich um ihre Lippen.
Jaz liess sich noch ein Bier reichen. „Du kommst über die Runden?"
Seniah verzog nervös das Gesicht. „Könnte besser laufen."
„Heisst."
„Ich hab Angst, wenn ich die Miete noch länger nicht zusammenkrieg, steh ich bald auf der Strasse", meinte sie und blickte in ihren Krug. „Aber irgendwie schaff ich das schon."
Jaz nickte knapp.
„Und du, hast dich eingelebt?", fragte Seniah Falrey.
Der zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon. Es gibt eine Menge, was ich noch nicht weiss und verstehe, aber so im Allgemeinen finde ich mich zurecht."
Seniah trank einen Schluck. „Was gefällt dir an der Stadt am besten?"
Falrey dachte nach. „Die Dächer", meinte er. „Dass man überall hinauf kann und hinunter blicken."
„Und was magst du nicht?"
„Dass es kein Grün gibt", antwortete Falrey sofort. „Und keinen Regen."
„Warum der Regen?"
Die Art, wie sie fragte und ihn dabei ansah, liess ihn eine ehrliche Antwort geben. „Er wäscht alles sauber. Die Strassen, die Häuser, die Menschen. Innerlich und äusserlich."
Seniah neigte den Kopf und nickte verstehend, dann kehrte ihr Blick zurück zu Jaz und sie lächelte und auf eine Art war das das Merkwürdigste, was Falrey jemals gesehen hatte. Niemand sah Jaz an und lächelte, nicht so. Spöttisch vielleicht, grinsend, herausfordernd, hinterhältig, aber nicht, als wäre er einfach eine gute Person und man würde sich freuen, ihn zu sehen. Weil das absurd war. Jaz war keine gute Person, und er machte sich nicht einmal die Mühe wie eine zu wirken.
Auch jetzt erwiderte er das Lächeln nicht, sondern trank nur weiter, mit einem Zug, dass Falrey den Verdacht hatte, dass er bald nicht einmal mehr stehen konnte, ohne sich irgendwo abzustützen, aber merkwürdigerweise schien es Seniah nichts auszumachen. Er erinnerte sich daran, was sie erzählt hatte über ihren Bruder. Dass er gewesen war wie Jaz. Er fragte sich in Bezug worauf genau, aber offensichtlich kam sie wesentlich besser mit Jaz klar als die allermeisten Leute, ihn selbst vermutlich eingeschlossen. Für einen Moment lang flackerte bei dem Gedanken ein richtig idiotischer Hauch von Eiversucht in ihm auf. Dann fragte er sich, worauf genau er eifersüchtig sein sollte, und das Gefühl verkrümelte sich wieder, weil es keine Nahrung fand.
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Niramun II - Mörder und Bastard
FantasíaFalrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halten und auch wenn er keine Freunde mehr hat in Niramun, so zumindest auch keine Feinde. Aber am Ende sind weder unruhestiftende Freier noch di...