Falrey stand auf einer weiten Ebene. Der Boden war Erde, gezogen in Gräben und Kämme, wie Ackerfurchen, nur dreimal so breit und tief. Ein Esel stand neben ihm, Säcke auf dem Rücken. Er ergriff das Seil um seinen Hals und begann zu gehen.
Sie liefen für viele Tage, Monate, Jahre vielleicht. Er spürte den Lauf der Zeit an sich vorüberrauschen, ohne jemals innezuhalten, die Gestirne zogen ihren Lauf in ewiger, sternenklarer Nacht. Irgendwann endete das Feld, er stand am Rand eines breiten Tales, das sich vom nördlichsten bis zum südlichsten Rand des Horizontes erstreckte, eine Rinne, die die Welt durchzog. Dunkelheit lag darin.
Über den Bergen der gegenüberliegenden Seite ging der Mond auf. Sein Licht liess den Fluss, der das Tal in Mäandern durchzog, schimmern als wäre er aus purem Silber. Der Strick in Falreys Hand war rauh. Er und der Esel, sie warteten beide, als Zeugen am Rand der Welt, auf Geschehnisse, die der Vergangenheit als mystische Prophezeiung, der Zukunft als unwirkliche Erzählung bekannt sein würden und in der Gegenwart niemals existierten. Weil Zeit etwas war, das schon auf der Ebene der Wahrheiten keine Rolle spielte. Und dieser lange, wartende Atemzug der Erde war etwas, was über Wahrheit weit hinausging.
Er wusste es, auch wenn er keine Ahnung hatte, woher die Worte kamen. Der Esel und er, sie sahen dem Mond zu, wie er stieg und begann sich rot zu verfärben, rot wie Blut. Falrey hatte ein, zweimal in seinem Leben den Roten Mond gesehen, aber dieser hier war anders, das wusste er, hatte es immer gewusst.
Die Tropfen fielen warm und dunkel, er spürte sie auf der Haut und hörte sie in den Ackerfurchen, schwer, rot, an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Der Mond weinte, und er weinte Blut, denn das Leid der Welt kannte keine Worte mehr. Falreys Herz brach, als er verstand, und er begann zu schluchzen, streckte die Hände aus und fing das Blut, eine kleine, rote Lache vergossenes Leben von den Meeren die fielen, vergossene Hoffnungen, Vergangenheit, für immer verloren, denn da war kein Mund mehr, der sie erzählte, keine Augen, die sie in sich trugen, kein Herz mehr, auf dessen Seiten ihre Geschichte geschrieben stand. Rote Tränen, wisperte eine Stimme, und es fühlte sich vertraut an, wie ein Geruch, den er kannte, ein Stoff auf der Haut, den er früher getragen hatte. Rote Tränen zu Füssen derer, die nicht weinen.
Und dann wurde der Mond hell, heller als jemals zuvor, und er sah die Tränen, die ihn verliessen, aber sie waren nicht rot, sondern leuchtend silbern, kristallene Splitter, die sich formierten und zur Erde sanken, in einem Flug, der zu sanft war, um Fall zu sein, zu verloren für Schweben. Er sah sie den Boden erreichen, weit in der Ferne, hart und scharf, Scherben von Träumen, die sich in die Steine gruben, und er sah das Blut, das aus ihnen quoll, das Volk. Männer, Frauen, Kinder. Keine Gesichter, nur die Menge, aber er spürte die Gewalt ihres Schicksals und es zerstach ihn, die Erde, wie eintausend Dolche.
Er rollte sich zusammen, ein Ball im Nichts, aber in der Dunkelheit seiner Augenlider sah er. Den Mond. Die Sonne. Er streckte die Hand danach, denn sie schienen so nah, aber er griff hindurch und alles driftete.
Da war ein Mann auf einer Ebene, aber sie stand Kopf. Der Himmel war zu seinen Füssen, fester Grund ohne jeden Halt über ihm und dennoch fiel er nicht. Der Mann sprach und Staub erhob sich, schwerer Rauch, der ihm den Atem nahm ohne zu brennen. Er zerfloss darin, wurde zum Rauch, formte sich neu.
Da war Feuer in seinen Adern und ein Dolch, in der Schneide gespiegelt das Bild eines Bachs und eines schilfumrandeten Teichs, auf den er zumarschierte, obwohl alles in ihm sich dagegen wehrte. Er erwartete, weiss zu sehen, aber das einzig helle war die Spiegelung des Nachthimmels auf dem Wasser, er fiel und tauchte ein, durch die Scheibe der Realität.
Der Mond stand über dem Dächermeer von Niramun. Wir sind Kinder, wisperte die Stimme. Kinder des Mondes und der Sonne. Der Mond gab uns das Leben, die Sonne die Zeit. Sonne und Mond näherten sich, schmolzen zusammen, dann wurde alles hell, heller als hell, brennend hell, zu hell für Sinne...
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Niramun II - Mörder und Bastard
FantasyFalrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halten und auch wenn er keine Freunde mehr hat in Niramun, so zumindest auch keine Feinde. Aber am Ende sind weder unruhestiftende Freier noch di...