Poss verlor kein Wort über sein halb zugeschwollenes Auge, als er am Abend bei ihm aufkreuzte. Sie packten die Ausrüstung ein, Falrey zog Stiefel und Weste aus und schwang sich das Seil mit dem Haken über die Schulter, bevor sie sich auf den Weg machten.
Es war bereits spät, als sie die Schmarotzervilla erreichten und sie warteten geduldig, bis die Lichter ausgingen, dann färbten sie sich Hände und Gesichter schwarz und umrundeten das Gebäude. Die Häuser in dieser Gegend hatten keine Leitern auf die Dächer – zumindest nicht von aussen – und die Hauseingänge waren in der Regel beleuchtet und bewacht, aber sie hielten sich in den Schatten und kletterten in einer dunklen Gasse entlang der vergitterten Fenster die Fassade hoch auf das Dach der Nachbarparzelle hangaufwärts. Der Sprung über die Strasse dazwischen war weit und das untere Dach fast ein Stockwerk tiefer, aber Poss ging voran, Falrey folgte ihm und rollte sich ab, bevor sie sich beide flach auf den Stein pressten und in den Schatten der Kamine robbten.
Sie warteten, aber nichts rührte sich. Poss hakte das Seil fest und Falrey beobachtete aufmerksam, was für einen Ort er dafür wählte. Es gab drei Kriterien, die man beachten musste: der Haken durfte nicht abrutschen, das Material, an dem er hing, musste der Belastung standhalten, und er musste sich lösen, sobald man den Zug vom Seil nahm und daran ruckte, denn sonst kontne man ihn nicht von unten her aushaken. Poss wählte die Kante des Kaminsockels, prüfte den Sitz mehrmals und begann dann sich abzuseilen.
Falrey wartete und hielt das Seil fest, um es am abrutschen zu hindern, als der Zug nachliess, dann folgte er Poss und hangelte sich mit den Füssen an der Wand hinunter bis zum Fenster. Der Laden stand offen, gerade genug, um sich hindurch zu zwängen, und Falrey stieg lautlos in den Raum, bevor er das Seil mit einem leichten Seitwärtsschwung löste und schnell hereinzog, um zu verhindern, dass der lederumwickelte Haken gegen die Mauer krachte. Er schloss den Laden und blickte sich kurz in dem Arbeitszimmer um, das der Schein von Poss kleiner Laterne zeigte, bevor er es wie abgemacht Poss überliess und stattdessen vorsichtig die Türe öffnete und auf den Gang hinaus huschte.
Er kam an zwei geschlossenen Türen vorbei, von denen es aus einer schnarchte, bis er die Treppe fand und lautlos hinunterstieg. Durch einen Türbogen gelangte er in den Salon und sah sich um. Der Raum nahm fast das ganze Stockwerk ein und die Frontseite war durchbrochen von einer grossen, doppelflügligen Türe, die auf die Terasse hinausging, und zwei Fenstern, nicht verschlossen mit Läden, sondern mit einem kunstvollen, metallenen Geflecht mit Aussparungen und eingelassenen, bunten Glasplättchen. Durch die Lücken gelangte genug Licht von Mond und Stadt gerein, dass Falrey die Schemen von Möbeln erkennen konnte.
Er wartete einige Atemzüge lang, bis er sich sicher war, dass sich niemand im Raum befand, dann bewegte er sich langsam und bedacht, um nirgendwo dagegen zu stossen und nichts umzuschmeissen, zu den Kommoden und Vitrinen. Er knackte Schlösser, öffnete Schränkchen und Schubladen und begutachtete Wertstücke. Einige aufwendige Vasen standen herum, aber die konnte er nicht einschätzen, ausserdem waren sie sperrig und zerbrechlich, deshalb liess er sie stehen und beschränkte sich auf jene Dinge, die ganz klar grosse Teile Geld oder Silber an sich hatten, oder eingelassene Edelsteine. Er fand ein Perlencollier, das in einer Vitrine um den Hals einer Frauenbüste hing und selbst im schwachen Licht glitzerte, wickelte es vorsichtig in ein Stück Stoff und legte es in seinen Sack, zwei retanische Messer – mittlerweile erkannte er sie an der Musterung im Klingenstahl und der besonderen Knaufform – ein Buch, dessen aufgeschlagene, ausgestellte Seiten mit buntesten Farben und Goldblatt bemalt waren, und auf einem kleinen, hohen Tischchen ein silbernes Teeservice, bestehend aus fünf Bechern mit feinen Bildreliefs mit eingelassenen roten Edelseteinen und einer Kanne, die geformt war wie ein Schiff unter Segeln. Die Kanne bereitete ihm etwas Mühe und er verstaute einige der kleineren Dinge darin, um mehr Platz zu haben, bevor er weiter stöberte.
DU LIEST GERADE
Niramun II - Mörder und Bastard
FantasíaFalrey hat das Vertrauen in Jaz verloren. Mit dem Job als Aufpasser im Liliths kann er sich über Wasser halten und auch wenn er keine Freunde mehr hat in Niramun, so zumindest auch keine Feinde. Aber am Ende sind weder unruhestiftende Freier noch di...