Kapitel 67 - Verflucht

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„Hast du eigentlich nachgeforscht zu den Namen, die dir Durras Dirne gegeben hat? Von den Puppenspielern?"

Jaz nickte, während er unauffällig die Gasse entlang blickte, in der sie das Paket abholen sollten. Es war noch nicht einmal Ore, viel zu früh, aber Jaz wollte sich die Gegend ansehen, solange noch genügend Leute unterwegs waren, dass sie niemand mit irgendetwas in Verbindung bringen würde, deshalb schlenderten sie scheinbar ziellos umher.

„Was hast du herausgefunden?", fragte Falrey, während er in eine Surati biss.

„Dass Wirjad ziemliche Mühe hat an den Erfolg seines Vaters anzuknüpfen", antwortete Jaz. „Dass es ihm kaum gelang, die Kontakte und Beziehungen aufrecht zu erhalten, die der Alte aufgebaut hat. Ich bezweifle, dass er irgendeinen Zugriff auf Widejas Ehemalige hat, wenn ihm schon die jetzigen solche Mühe bereiten."

„Was ist mit seinem Vater passiert?", fragte Falrey.

„Umgebracht von einem Widersacher", antwortete Jaz knapp. „Respektive es hatten wohl mehrere ihre Finger mit im Spiel."

„Also der andere", schlussfolgerte Falrey. „Dragus."

Jaz nickte.

Sie verliessen das Gebiet, liefen einen weiten Bogen durch andere Quartiere, um Zeit verstreichen zu lassen. Falrey holte sich irgendwo etwas zu essen, nötigte Jaz zu einigen Bissen und verdrückte den Rest selbst. Jaz zündete sich ein Schilf an, als sie sich langsam wieder auf den Rückweg machten.

„Wie lange bist du eigentlich zur Schule gegangen?"

Die Frage kam so aus dem Nichts, dass Falrey erst einmal: „Häh?", fragte, bevor seine Gedanken aufgeholt hatten. „Acht Jahre", antwortete er dann. „Man beginnt mit sieben und die meisten hören mit etwa fünfzehn auf zu gehen." Falrey trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche, bevor er hinzufügte: „Aber in den letzten zwei Jahren war ich nicht mehr regelmässig dort."

„Wieso?", fragte Jaz merklich überrascht.

Falrey zuckte mit den Schultern „Es war nicht mehr so viel Neues. Ich lernte mehr, wenn ich las. Und ich schätze, es waren alle froh, wenn ich nicht da war." Ausser Omerin vielleicht.

„Klingt nach einem Grund, extra hinzugehen", meinte Jaz.

Falrey lachte, bevor er meinte: „Ich ziehe es vor, Konflikten aus dem Weg zu gehen, wenn ich eine Wahl habe." Er schwieg einige Atemzüge lang, bevor er versuchte zu erklären: „Eigentlich war das Problem nicht, was die anderen getan oder gesagt hätten. Sie vergassen eh meistens, dass ich da war. Aber ich wollte sie nicht ständig sehen und daran erinnert werden, dass sie mich hassten und ich nie dazugehören würde." Die Worte kamen ihm leichter über die Lippen, als er erwartet hätte, dafür, wie viel Bitterkeit dahinter lag. „Aber den wirklichen Ausschlag gab mein Lehrer."

„Wieso?", fragte Jaz undeutlich, das Schilf in den Mundwinkel geklemmt.

„Als ich angefangen hatte ab und zu zu fehlen, behielt er mich einmal nachdem Unterricht da", erzählte Falrey. „Er versuchte mich davon zu überzeugen, dass ich unbedingt weiter kommen musste, und schliesslich begriff ich wieso. Er dachte..." Falrey unterbrach sich, als ihm klar wurde, dass er vielleicht etwas weiter ausholen musste. „Weisst du, was ein Wechselbalg ist?"

Erwartungsgemäss schüttelte Jaz den Kopf.

„In den Geschichten der Wälder gibt es jede Menge Wesen, die weder Mensch noch Tier sind", erklärte Falrey. „Faune, Dryaden, Kobolde, Waldvolk. Nicht, dass es irgendetwas davon wirklich gäbe. Zumindest habe ich nie etwas davon gesehen und ich verbrachte viel Zeit im Wald. Einigen von diesen Wesen sagt man nach, dass sie Kinder stehlen und durch ihre eigenen austauschen oder sie verhexen und dadurch zu ihren Knechten machen. Diese Kinder nennt man dann Wechselbälger. Sie verhalten sich seltsam, hassen die Menschen in ihrem Innersten – auch wenn es ihnen vielleicht nicht einmal bewusst ist – bringen Unglück und Tod. Ich... ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie viele Leute wirklich daran glauben, oder ob sie es nur als Bezeichnung verstehen für Leute, die ihnen... nicht normal scheinen. Auf jeden Fall galt ich durch meine unrechtmässige Geburt wohl als dem Bösen ausgeliefert, als empfänglich für die Zaubersprüche des Waldvolks, für die Flüche der Dunkelheit. Omerin hielt mich für einen Wechselbalg. Er war der Ansicht, wenn er mich nicht mit dem Licht der Bildung und seinem Einfluss retten und aufden rechten Weg bringen könne, würde ich unweigerlich dem Bösen anheimfallen. Wie viel ihn dabei wirklich mein Schicksal interessiert hat oder ob es ihm nur darum ging, sich etwas darauf einbilden zu können, das Dorf vor meinen unglücksverheissenden Einfluss bewahrt zu haben, weiss ich nicht. Hat mich in dem Moment auch nicht mehr wirklich interessiert."

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt