Kapitel 13 - Regeln

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Ezali stand noch in der Küche und trank ein Glas Kernsaft, als er seine Stiefel band und den Umhang umlegte. Es war eine arbeitsreiche Nacht gewesen für sie und sie sah müde aus, die langen, blonden Haare hingen ihr ins Gesicht wie ein blasser Feenschleier und Falrey konnte die Schatten unter ihren Augen sehen trotz der Farbe darüber. Den Becher gegen die Unterlippe gestützt lehnte sie an der Anrichte und blickte zu ihm herüber, er spürte es auch ohne aufzusehen. Halb erwartete er einen blöden Spruch, wie sie ihn am Anfang des Abends gebracht hatten, aber eigentlich wusste er, dass sie gerade in einer völlig anderen Stimmung war, und als sie schliesslich den Mund öffnete, meinte sie: „In dir steckt auch mehr, als man erwarten würde."

Er blickte auf, während er die Schnürsenkel des zweiten Stiefels verknotete. „Wie meinst du das?"

„Was du heute hingelegt hast."

Er legte den Kopf schief. „Du warst doch gar nicht dabei."

„Nein", meinte sie kopfschüttelnd. „Aber Sami hats erzählt. Sie meint, für ein, zwei Augenblicke hatte sie echt Angst vor dir."

Er verzog das Gesicht, während er sich aufrichtete. „Das war nicht das Ziel."

Ezali erwiderte nichts darauf.

Er holte das Messer, das er dem Mann abgenommen hatte, aus der Westentasche, in der er es vorübergehend untergebracht hatte – in der versteckten Ledertasche an seiner Brust hatte es keinen Platz mehr gehabt neben seinem eigenen Dolch. „Hast du eine Ahnung, was ich damit machen soll?"

Theoretisch konnte er es mitnehmen und Jaz geben, aber selbst für ihn war erkennbar, dass es nicht ganz dieselbe Qualität war, wie das, was Jaz sonst führte. Hübsch, ja, aber nicht wirklich solide. Was ihn selbst betraf – drei Klingen auf sich zu tragen reichte ihm, immerhin war es schon eine mehr als er Hände hatte. Und vielleicht gehörte es sowieso Jelerik, schliesslich hatte er es während der Arbeitszeit von einem Kunden beschlagnahmt.

Ezali schwieg einige Augenblicke lang, den Blick auf die Klinge gerichtet, dann fragte sie: „Wenn du es nichts brauchst, kann ich es haben?"

Er musterte sie überrascht, hielt ihr jedoch wortlos das Messer hin, mit dem Heft voran. Im letzten Moment zog er es nochmal zurück. „Kannst du damit umgehen?"

Sie grinste schief. „Genug um mich nicht selber zu treffen, wenn ich es in irgendwelche Weichteile stecke."

Auf sein aufforderndes Nicken hin nahm sie die Waffe entgegen. „Danke."

„Bitte", meinte er lächelnd und wandte sich zum Gehen.

„Pass auf dich auf!"

Er nickte und tat es auch. Der Heimweg war bedeutend leichter und weniger beunruhigend mit dem Mehr an Bewegungsfreiheit, das er ohne den Rucksack hatte. Auf halbem Weg fiel ihm auf, dass er ein Vollidiot war. Du hast wieder den Schlüssel vergessen. Mit einem unterdrückten Fluch blieb er stehen und versuchte abzuwägen, was die bessere Alternative war, weiterzugehen oder umzudrehen. Er kam zum Schluss, dass er lieber im Liliths unter dem Küchentisch schlief, als noch einmal ein halbe Nacht auf Emilas Türschwelle zu verbringen.

Er machte rechtsumkehrt und ging einige Schritte weit, bevor er erneut abbremste. Wenn er vor der Türe wartete, konnte er wenigstens ab dem Zeitpunkt, an dem ihn jemand hineinliess, anständig schlafen. Der Küchenboden war wesentlich weniger erholsam und spätestens wenn Muyma kam, war nichts mehr mit Ruhe. Ihm fiel ein, dass er immer noch den Zimmerschlüssel hatte. Und da er Jelerik noch nicht einmal gesagt hatte, dass er wieder ausgezogen war, sprach auch nichts dagegen oben zu schlafen. Allerdings, wenn er daran dachte, wieder in dem kargen, stillen Raum aufzuwachen, allein auf der verschlissenen Matratze...

Niramun II - Mörder und BastardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt