Kapitel 6

3.2K 128 1
                                    

Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, dass es kurz vor zehn ist und Leo mich demnach gleich abholen kommen müsste. Bei dem Gedanken bekomme ich einen flauen Magen und feuchte Hände. Wieso bin ich nur so nervös? Wir haben uns schließlich auf einen freundschaftlichen Abend geeinigt. Leider sieht der Typ nur so unglaublich gut aus, dass er mich, ungewollt natürlich, völlig aus dem Konzept bringt. Nervös gehe in der Wohnung auf und ab und warte auf das heulen eines Motors oder das Läuten der Klingel. Doch zunächst passiert nichts von beidem.

Um kurz nach zehn frage ich mich, wie doof ich sein kann und wirklich glauben konnte, dass mich Leo Heine zu einer Verabredung ins Rules abholt. Ob er mich vergessen hat oder ob er es sich einfach anders überlegt hat? Schließlich bin ich ja wesentlich jünger als er, was ihm nicht hätte entgehen können. In diesem Moment klingelt es an der Tür und ich fahre zusammen. Ich nehme den Hörer der Gegensprechanlage freudig entgegen und warte.
»Hier ist Leo. Lucy? Kommst du runter?«

»Bin gleich unten«, entgegne ich mit nervöser Stimme und lege den Hörer auf. Etwas zittrig aber voller Vorfreunde auf den Abend, schnappe ich mir meine Clutch und meine kurze Jeansjacke und flitze die Treppen hinunter. Als ich unten ankomme und die Tür öffne, kann ich meinen Augen kaum glauben. Leo steht in einer schlichten blauen Jeans und mit weißem Tommy Hilfiger T-Shirt vor mir, das seine Muskeln betont. Seine braunen, wilden Locken versteckt er unter einer schicken Snapback Cap, bei der er den Schirm nach hinten gedreht hat. Erst jetzt fällt mir auf wie unglaublich muskulös er ist. Dazu trägt er lässige weiße Bikkemberg Sneakers. Auch Leo sehe ich an, dass er mit meinem Outfit eher nicht gerechnet hat. Er schluckt schwer und bekommt zunächst keinen Ton raus.

»Ähm, wow. Lucy. Du siehst wahnsinnig gut aus. Das Auto steht ein paar Meter die Straße runter. Kommst du mit?«, stammelt er.

»Danke, ja klar. Wir können los.«
Zum Glück ist es schon dunkel und er kann meine geröteten Wangen nicht erkennen.

Auf dem Weg zum Auto halte ich nach dem Ferrari Ausschau doch kann ihn nicht entdecken. Wie auch heute Vormittag, entgeht dass Leo nicht.

»Heute Abend kein Ferrari, Süße. Heute fahren wir GTR«, sagt Leo stolz. In diesem Moment erblicke ich den grünen flachen Mercedes Sportwagen und mir stockt der Atem.

»Ach du heilige Scheiße!«, platzt es aus mir heraus. Im gleichen Moment bereue ich diesen Ausdruck jedoch gleich wieder. Ich sollte mich etwas zügeln und mehr wie eine Frau verhalten und nicht wie ein hysterisches Mädchen klingen. Leo grinst mich nur begeistert an: »Schön, dass er dir gefällt. Nimm Platz.« Als ich gerade nach der Tür greifen will um einzusteigen, wollte mir auch Leo ganz Gentleman-like entgegenkommen und die Tür für mich öffnen. Unsere Hände berühren sich kurz und ich zucke zusammen als hätte ich einen Stromschlag erlitten. So gerne ich auch möchte, kann ich leider nicht leugnen, dass diese Berührung etwas in mir entfacht, was ich bisher noch nie spüren durfte. Leo grinst schief und öffnet mir schließlich die Beifahrertür. Schnell steige ich ein.

Die Fahrt von meiner Wohnung bis zum Rules dauert nur fünfzehn Minuten und ich hoffe inständig diese nicht peinlich schweigend verbringen zu müssen.

»Erzähl mir was von dir, Lucy!«, platzt es aus Leo heraus.

»Was möchtest du denn hören?«

»Einfach etwas über dich. Was sind deine Hobbys? Wie sind deine Eltern?«, horcht Leo mich aus. Daraufhin bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Niemand in meinem Umfeld fragt mich normalerweise nach meinen Eltern. Alle wissen was damals passiert ist und auch Hannah umgeht das Thema geschickt. Leo, der irgendwie in der Lage ist, mich wie ein offenes Buch zu lesen, merkt schnell, dass etwas nicht stimmt.

»Hey, kein Stress, Süße. Du musst nicht antworten. Was machst du in deiner Freizeit?«, versucht er mich geschickt abzulenken.

»Ich gehe gerne zum Fitness und regelmäßig laufen. Und ich koche gern. Was machst du so, wenn du mal keine verunglückten Frauen anblaffst?« Ups – schon wieder habe ich mein Mundwerk nicht unter Kontrolle. Das war jetzt echt blöd von mir.

»Sorry...«, schiebe ich nach. Grinsend entgegnet Leo: »Schon gut, du hast ja recht. Ich gehe gerne zum Fußball oder trainiere auch im Fitnessstudio.« Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend.

Kurze Zeit später parkt Leo seinen Wagen vor dem Rules. Eigentlich sind dort, wo Leo anhält, gar keine Parkplätze, aber anscheinend gilt das nicht für Sportwagen von Mercedes. Den Leuten vor dem Club ist die Ankunft des Sportwagens nicht entgangen und wir werden von der gesamten Schlange, die vor dem Club ansteht, gescannt. Wir steigen aus und nähern uns dem Eingang. Mit jedem Schritt, dem wir den Club näher kommen, wird mir unwohler. So eine geballte Aufmerksamkeit ist einfach nicht mein Ding.
Leo legt seine Hand auf meinen unteren, freien Rücken und geleitet mich direkt bis zum Einlass.

»Hey Leo. Lange nicht gesehen. Daniel erwartet euch schon«, strahlt der Türsteher und tritt beiseite um uns Einlass zu gewähren. Dabei mustert er mich skeptisch. Anscheinend bin ich nicht die typische Begleitung die Leo oder auch Daniel sonst im Schlepptau haben.

Leo führt mich gezielt durch den dunklen Club eine Treppe herauf. Hinter dem abgesperrten Bereich, der wie ein Kasten über der Tanzfläche schwebt und komplett mit Glas verkleidet ist, winkt ein junger ebenfalls gutaussehender Typ uns zu. Der typische Surferboy denke ich bei seinem ersten Anblick.

»Leo, Mann! Lange nicht gesehen! Wo warst du so lange?«, erkundigt sich Daniel der Leo auch direkt umarmt.

»Hier und da. Das ist Lucy. Lucy? Das ist Daniel, mein bester Freund. Und dahinten sind Lynn, Brandon und Josie.« Alle winken mir freundlich zu – nur die Empfangsdame von Leos Vater, Lynn, verzichtet auf eine Begrüßung und schaut nur abschätzig an mir herunter.

»Wir haben schon bestellt, setzt euch«, sagt Daniel gelassen.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt