Kapitel 69

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Sein Anblick und auch seine Stimme sorgen für eine riesige Gänsehaut. Wie in Schockstarre, kann ich weder antworten, noch weglaufen. Es fühlt sich an, als wäre ich gelähmt.

»Ich wollte nach dir sehen, ob es dir gut geht.«

»W...Woher..weißt du?«, bringe ich krächzend hervor. Ich fühle mich wieder wie ein sechzehnjähriges Kind, das gleich eine geschossen bekommt. Aber diesmal ist sein Ausdruck ganz anders. Sorge steht ihm in sein Gesicht geschrieben.

»Ich habe in der Zeitung den Artikel gelesen. Den von Leo Heine. Dass der begehrteste Junggeselle vermutlich eine Freundin hat. Und naja auf einem Bild konnte ich dich von hinten sehen und wusste sofort, dass du es bist. Da du dich ja auf meinen Anruf hin nicht gemeldet hast, habe ich dich suchen lassen. Durch einen Detektiv.«
»Warum tust du das, Stuart?«
»Ich hab mich um dich gesorgt. Bin doch der einzige den du noch hast«, sagt er und grinst dabei fröhlich.

Was ist mit ihm nur nicht richtig? Er kann doch nicht hier einfach so auftauchen und so tun, als wäre die ganzen Jahre nichts passiert. So tun, als hätte ich keine körperlichen und seelischen Narben.
Ich weiß nicht genau, woher ich die Kraft nehme, aber meine Lähmung und mein Schock ist gewichen. Dafür bin ich jetzt so unglaublich wütend, wie ich noch niemals in meinem Leben war. Ich war immer ängstlich und habe zurück gesteckt. Aber jetzt kämpfe ich nicht mehr für mich alleine, sondern auch für mein Kind.

»Gesorgt?«, lache ich höhnisch. »Du hast dafür gesorgt das ich spure und dafür dass ich dir deinen Alkohol an den Tisch bringe. Weißt du eigentlich was diese Jahre für mich waren?«,  inzwischen hat meine Stimme einen hohen Kreisch-Ton angenommen, »Es war grausam. Stuart du hast mich misshandelt. Du hast mich geschlagen und verprügelt. Das war keine Erziehung, das waren die schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich will dich nie wieder sehen«

Schock steht nun ihm in die Augen geschrieben. Er räuspert sich leicht, ehe er erneut ansetzt: »Ich weiß«, sagt er kleinlaut. »Ich mache eine Therapie und bin seit einem Jahr clean. Ich trinke nicht mehr«

»Toll, Stuart. Dann können wir ja jetzt Freunde sein!«, meckere ich und lege aus Angst, dass meine Aufregung meinem Baby schaden könnte, die Hand auf meinen Bauch. Puh, ich muss ruhig bleiben. Oder am besten verschwinden.

»So war das nicht gemeint. Ich wollte mich entschuldigen. Auch wenn ich weiß, dass du das niemals annehmen kannst. Ich war krank und ich war nicht ich selbst. Es tut mir Leid. Alles.« Er wischt sich mit der Hand über die Augen. Verdammt, weint er jetzt?

»Lucy!«, ertönt eine bekannte Stimme hinter mir. »Ist alles in Ordnung?«

Ich drehe mich um, und bekomme zum zweiten Mal an diesem Abend eine Gänsehaut. Nun aber keine vor Angst, sondern vor Sehnsucht.

»Leo«, krächze ich. »Was machst du hier?« Mit etwas Abstand kommt Leo vor mir zum Stehen und schaut erst mich dann Stuart nachdenklich an.

»Hannah war so lieb mich anzurufen, damit ich dich von der Arbeit abhole. Wer ist das?«, fragt er und nickt in Stuarts Richtung. Wenn ich ihm das jetzt sage, gibt es hier ein Gemetzel. Aber warum sollte ich es vor ihm verheimlichen? Wir sind schließlich kein Paar mehr.

»Ich bin Stuart«, meldet sich mein Onkel zu Wort. Verdammt – der Idiot! In Leo's Gesicht zeichnet sich purer Schock ab. Das Blut weicht aus seinem Gesicht und mit einem Mal ist er ganz blass. Dann wendet er seinen Blick zu mir: »Sag nicht, es ist DER Stuart?«

Stumm nicke ich und sehe wie Leo in Wallung kommt. Bitte nicht...
Stuart scheint zu bemerken, dass Leo im Bilde ist und nimmt beschwichtigend die Hände hoch. Gerade als Leo einen Schritt nach vorne setzen will, ergreife ich reflexartig seinen Arm.

»Nein. Bitte nicht.«, flüstere ich.

»Nenn mir einen guten Grund, warum ich ihn nicht...«, knirscht er.

»Er kam um sich zu entschuldigen. Er ist seit einem Jahr clean und in Therapie. Er.. er hat den Artikel in der Zeitung gesehen und mich erkannt«, erkläre ich.

Leo atmet schwer aus und tritt zurück. Nun liegt seine Aufmerksamkeit wieder bei mir. Er sieht mich an und fährt sich mit der Hand durch seine braunen Locken. Seine Augen lodern noch immer. Ich spüre seine Handinnenflächen an meinen Wangen und er sieht mich so eindringlich an, dass ich sofort dahin schmelzen könnte.

»Ein Wort und ich reiße ihm sofort den Kopf ab, das ist dir
klar, oder?« Stumpf nicke ich.

Stuart kommt langsam auf uns zu, hält aber weiterhin Abstand. Leo verkrampft sich sofort und seine Hand schießt zu meiner Taille. Fest zieht er mich an sich.

»Hier...«, sagt Stuart kleinlaut. »Da steht die Nummer von mir drauf und die meiner Therapeutin. Vielleicht wollen wir irgendwann mal zusammen dorthin. Es liegt ganz an dir. Ich gehe jetzt, habt noch einen schönen Abend«

»Äh, danke! Du auch«

Einen Moment sehen wir Stuart hinterher wie er im Dunkeln auf dem Marktplatz schließlich verschwindet. Erleichtert atme ich aus und berühre wieder meinen Bauch, was Leo natürlich nicht entgeht.

»Geht es ihm gut? Hast du Schmerzen?«, erkundigt er sich hastig, woraufhin ich leicht grinsen muss.

»Nein. Nur die Aufregung. Aber Er? Es könnte auch eine Sie sein«

»Nein, er ist so stark. Deswegen ein Er.«

»Wir werden es sehen... Ich bin total k.O und muss jetzt nach Hause. Das mit Hannah klären wir noch. Aber nicht jetzt.«

»Wie kommst du denn nach Hause? Soll ich dich fahren?«

»Nein! Ich nehme die Bahn.« Resigniert blickt Leo zu Boden. Ehe er seinen Hundewelpen-Blick aufsetzt und mich erneut drangsaliert: »Wie lange willst du mich noch ignorieren?«

»Ich ignoriere dich gar nicht. Ich entscheide nur gerade, wer gut für mein Leben und das Leben des Kindes ist. Du... wolltest es nicht. DU hast mich mit allem allein gelassen«

»Lucy, es tut mir Leid. Bitte. Das kannst du nicht machen...«

»Und wie ich das kann! Beweis mir, dass du ein Vater sein kannst. Der Verantwortung übernimmt und uns nicht ins Unglück stürzt«

»Das wird ein Kinderspiel für mich... Legen wir direkt mal los. Steig in mein Auto!«, befehlt er und deutet auf den am Straßenrand stehenden Audi.

»Ähh...«, bringe ich nur hervor. Dann hat er mich wohl ausnahmsweise mit meinen eigenen Waffen geschlagen...

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt