Kapitel 49

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Es ist so unglaublich still. Weder kann ich die Geräusche der Nachbarn wahrnehmen, noch die der Straße. Oder vielleicht liegt es auch einfach an meinem Kopf. Seit zwei Tagen bin ich nun wieder zurück in Deutschland und habe noch kein Wort von Leo gehört – hätte mich ehrlich gesagt auch stark gewundert.

Hannah hat mich immer wieder darin bestätigt, dass ich alles richtig gemacht habe. Dass es für mich die einzige Lösung gewesen sei, um nicht kaputt zu gehen. Aber mein Verstand sieht die Sache leider etwas anders. Ich habe das Gefühl, Leo im Stich gelassen zu haben. Er hat immerhin seinen Vater verloren. Das letzte Familienmitglied. Ein kleiner Wutanfall reicht und haue einfach ab. Die letzten Nächte hat Hannah mir zu liebe immer bei mir übernachtet. Durch meine Alpträume, die mich seit der Nachricht von Leo's Vater quälen, konnte sie jedoch so schlecht schlafen, dass sie sich das eine dritte Nacht in Folge nicht antun kann.

Mehrfach war ich kurz davor Leo eine Nachricht zu schicken, doch Hannah hat mir immer wieder gesagt, ich solle ihm die Zeit geben die er braucht. Aber wie viel denn noch?

Er muss sich um die Beerdigung und die Praxis kümmern.

Mein Handy klingelt und reißt mich aus meinem Gedankenchaos. Auf dem Display erkenne ich den Anrufer. Es ist Ben.

»Hi, hier ist Lucy«, gebe ich sanft in das Telefon, um mir meine Trauer nicht anmerken zu lassen. Leider völlig ohne Erfolg! Ben fragt direkt, was mit mir los sei und warum ich mich nicht gemeldet habe. Auf Vorwürfe habe ich gerade gar keinen Bock.

»Du ich hab so viel um die Ohren mit der Uni. Muss noch einige Hausarbeiten vorbereiten und vieles mehr. Da hab ich einfach keinen Kopf gehabt. Tut mir leid«, rechtfertige ich mich.

Ben schlägt vor, dass wir uns auf einen Kaffee treffen und weil ich so schlecht nein sagen kann, nehme ich eine Verabredung für den Nachmittag in Kauf.

Als er schließlich auflegt hoffe ich ihm keine falschen Hoffnungen gemacht zu haben.

Es duftet wunderbar nach frisch aufgebrühtem Kaffee als ich den kleinen Laden an der Ecke, nicht weit von meiner Wohnung, betrete. Ben sitzt schon auf dem kleinen Sofa in der Ecke und winkt mich zu sich rüber.

»Hi Lucy! Schön dich zu sehen«, strahlt er mich an.

»Hi«, entgegne ich stumpf und Ben's Augen verzerren sich zu schmalen Schlitzen als ich näher trete.

»Oha, Lucy. Was ist los mit dir? Du siehst furchtbar aus«

»Sehr nett von dir... Ich habe einfach wieder ein paar Alpträume und habe schlecht geschlafen.« Das Drama rund um Leo und das wir ein naja Paar sind oder waren – ich weiß es leider nicht so genau – möchte ich ihm dringend ersparen. Oder vielmehr möchte ich es mir ersparen.

»Ich habe dir einen Kakao mit Sahne bestellt. Ist doch ok, oder?«, fragt er unsicher nach.

»Klar, danke!«

Die Kellnerin erreicht unseren Tisch und stellt neben einem Kakao und einem Kaffee auch zwei Muffins auf den Tisch. »Lasst es euch schmecken«, sagt sie höflich und verschwindet wieder hinter dem Tresen.

Als hätte ich zwei Wochen nicht gegessen, schlinge ich den Muffin herunter. Schockiert guckt mich Ben an. »Möchtest du meinen auch noch haben?«, fragt er nach.

»Äh... Nein danke! Ist ganz lieb, aber einer reicht.«

»Ich mache mir Sorgen um dich. Du siehst so schlank aus. Geht es dir wirklich gut?«

Puuuhh.... Jetzt bloß nicht in Tränen ausbrechen. Ben hat gerade einen wunden Punkt getroffen.

»Ja, alles super!«, schwindle ich.

Zum Glück vibriert mein Handy so laut auf der Glasplatte, dass es unser Gespräch unterbricht. Auf dem Display erscheint eine Nachricht. Von Leo.

Ben starrt auf das Handy und dann in meine Augen. Ich kann seine Enttäuschung nicht nur sehen, sondern auch spüren. Seine Schultern sacken zusammen.

»Lucy, sag mir, dass das nicht wahr ist.«, sagt er trocken.

»Das was nicht wahr ist?« Ich tue einfach so als wüsste ich nicht worum es geht. Dumm stellen hat bestimmt schon manchen geholfen.

»Du hast noch Kontakt zu Leo Heine?« Shit – was soll ich darauf denn antworten? Ich hab ja keine Wahl als nun die Bombe platzen zu lassen. Vielleicht hilft eine Halbwahrheit?

»Wir sind Freunde. Er macht gerade eine schwierige Zeit durch.«

»Freunde?«, Ben lacht gekünzelt. »Mit diesem Mann kannst du keine Freundschaft pflegen. Der ist so korrupt, der weiß nicht mal was das bedeutet.«, sagt er nun wesentlich wütender.

Mein Handy surrt erneut. Es ist bereits eine zweite Nachricht von Leo angekommen und ich muss diese jetzt unbedingt lesen.

»Entschuldige mich kurz«, gebe ich kühl zurück und wende mich zum Aufstehen. In diesem Moment schnellt Ben's Arm nach vorne und hält mein Handgelenk fest.

»Du rufst ihn jetzt nicht an. Wir klären das erst« Verwundert und erschrocken zu gleich blicke ich auf seine Hand, die mich noch immer grob festhält.

»Das lass mal meine Sorge sein«, zische ich und reiße mich ebenso grob von ihm los. Vor dem Café atme ich tief durch ehe ich die Nachrichten von Leo öffne.

Nachricht von Leo – 15:36

Lucy, es tut mir so unendlich leid. Ich bin ein schwerer Fall.
Mein Flugzeug landet heute um 22 Uhr. Können wir uns bei mir im Loft treffen?

Nachricht von Leo – 15:39

... bitte!!! Lucy... ich liebe dich!
And I won't let you fall girl

Mir stockt der Atem. Wieso sagt er das erste Mal „ich liebe dich" bitte per SMS? Und wieso zitiert er immer diesen scheiß Song zu dem wir getanzt haben! Argh! Ich bin stink sauer. So wütend. Wieso sagt er es mir in einer scheiß SMS...

Und ja er bohrt sich mit diesen kack Nachrichten wieder direkt durch mein zugefrorenes Herz. Erreicht meine Mitte und lässt mein Herz trotz dieser Entfernung höher schlagen. Noch immer starre ich auf mein Handy. Auf einmal klingelt es – Leo ruft an.

Schnell nehme ich den Anruf entgegen und blaffe ins Telefon: »Du schickst mich nach Hause und dann sagst du ernsthaft die drei Worte per SMS? Willst du mich verarschen?« Den letzten Teil des Satzes kreische ich mehr als alles andere. Sofort bereue ich meinen Wutanfall jedoch wieder, denn mir wird bewusst, dass er immer noch trauert. Dass er alleine trauert und sich endlich nach drei Tagen bei mir meldet.

Ich höre nur ein seufzen und ein leises „sorry" auf der anderen Seite. Das Gespräch verläuft sonst relativ schnell und kühl. Es hört sich so an, als wäre Leo wieder nüchtern und ich sage ihm zu, heute Abend bei ihm vorbei zukommen. Dann ist die Leitung tot.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt