Kapitel 67

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Für all meine lieben Leser, die so geduldig auf das nächste Kapitel warten. Das bedeutet mir unglaublich viel :)


Mehr als genervt lasse ich mich in den roten Kinosessel plumpsen den Hannah für uns ausgesucht hat.

»Toller Platz, oder? Genau mittig«, sagt sie begeistert und klatscht aufgeregt in die Hände.

»Mein Sofa zu Hause steht auch mittig vorm Fernseher. Da säße ich lieber!«, brummle ich vor mich hin, worauf ich mir einen Seitenhieb von Hannah einfange. Ein kleiner Lacher entfährt mir.

Meine beste Freundin war nämlich heute Morgen so freundlich mich aus dem Bett zu werfen und solange zu nerven bis ich mich schließlich zur Uni geschleppt habe. Dort musste ich ihr versprechen heute mit ihr den zweiten Teil von Fifty Shades of Grey im Kino anzusehen. Grandios! Natürlich bin ich irgendwo dankbar, dass sie versucht mich abzulenken. Aber Himmel, ich läge lieber auf meinem Sofa. Alleine versteht sich... und würde in meinem Selbstmitleid versinken. Das wäre jetzt genau das Richtige.

»Popcorn?«, fragt Hannah und hält mir den Jumbo Eimer vor die Nase. Nickend nehme ich mir eine Hand voll und lasse sie langsam in meinem Mund verschwinden. Der Kinosaal ist schon etwas gedimmt, sodass niemand meine dunklen Augenringe erkennen kann. Ein absoluter Vorteil – hätte Hannah mich zum Essen gehen geschleppt, hätte der Kellner wohlmöglich aufgrund meines Anblicks alles fallen gelassen. Trotz Make-Up sehe ich aus wie der Tot. Diese schlaflosen Nächte gehen nicht spurlos an einem vorbei. Immerhin war die gestrige Nachuntersuchung gut. Meinem Baby geht es gut und ich muss mir in diesem Zusammenhang erstmal keine Sorgen um seine Gesundheit machen. Oder Ihre? Wer weiß das schon, grinse ich in mich hinein.

»Untersuchung war übrigens ohne Befund«, sage ich und grinse Hannah erleichtert an.
»Klingt gut! Wusste ich gar nicht«, murmelt sie.
»Ja, hatte ich nicht erzählt. Hatte ein bisschen Schiss«, gestehe ich und knete nervös meine Hände.
»Hast du dir schon Gedanken um dein Studium gemacht? Willst du nicht mehr hin?«, platzt es aus Hannah heraus. Ein Stich schießt durch mein Herz. Was zur Hölle... wieso sollte ich dafür jetzt schon einen Plan B haben? Ist sie bescheuert? Wütend schnaube ich.

»Sorry. Das war nicht gerade rücksichtsvoll«, murmelt sie und senkt den Blick.
»Nein. Und ich weiß noch nicht wie es weitergehen soll. Ohne Mann!«
»Du hast einen Mann dazu! Du willst ihn nur nicht. Das ist ein gewaltiger Unterschied, Lucy.«
»Wieso zum Teufel bist du auf seiner Seite? Was soll der Mist?«
»Er liebt dich wirklich. Er will auch das Kind und Argh...! Du bist so stur!«, feuert sie mir entgegen.

Keine Chance. Genau in diesem Moment platzt mir die Hutschnur:
»Ich weiß nicht, wer dir in dein Müsli geschissen hat, aber Hannah ganz ehrlich du bist gerade keine gute Freundin. Du machst mir nur Druck. Hör auf mit dem Mist!«, brülle ich etwas zu laut und einige Kinogäste drehen sich zu mir um. Unschuldig grinse ich und murmle ein leises „Sorry". Zum Glück hat der Film noch nicht angefangen und ich kann noch verschwinden. Und zwar sofort. Ich wende mich zum Gehen ab.

»Lucy, warte bitte!«, fleht Hannah und ich bleibe tatsächlich stehen.
»Es tut mir Leid, ok? Ich will nur nicht, dass du einen Fehler machst«, sagt sie und spielt dabei an ihrem Handy.
»Ist dir das so wichtig hier, dass du nebenbei am Handy spielen kannst?«, motze ich ungebremst weiter. Ich komme gerade in Fahrt.

Erschrocken blickt sie zu mir auf: »Nein, nein! So ist es nicht. Ich.. ich musste schnell was sehr wichtiges mit Mom klären. Bitte bleib. Während des Films und den Rest des Abends bin ich leise. Ich schwöre«, dabei hält sie beide Hände in die Luft und formt das Schwören-Zeichen.
Seufzend lasse ich mich zurück in den Kinosessel fallen und versuche diesen Abend einfach zu überstehen.

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Ich bin unglaublich erschöpft, als ich endlich meinen Hausflur erreiche, freue mich auf meine eigenen vier Wände und die dort herrschende Ruhe. Ein absoluter Segen. Als ich schließlich meine Jacke und meine Schuhe abstreife, zeigt mir mein Anrufbeantworter weitere neue Nachrichten:

Hallo Frau Richter, hier spricht Doktor Blake. Die Blutergebnisse waren auch einwandfrei. Sie haben nicht mal Eisenmangel. Das wollte ich Ihnen nur mitteilen. Wir sehen uns in zwei Wochen!

„Sie haben noch EINE neue Nachricht" dröhnt es aus dem Anrufbeantworter und er fängt direkt an, diese abzuspielen:

Lucy? Hier ist Stuart. Wie geht es dir?
Das Krankenhaus hat mich als dein einziger Verwandter informiert, dass du dort warst. Die Nachricht kam etwas spät an. Du weißt ja wie ich bin... Ich hoffe es geht dir gut und wir hören uns bald? Meld dich doch mal. Ciao.

Mir gefriert schlagartig das Blut in den Adern. Seitdem ich vor gut dreieinhalb Jahren von zu Hause abgehauen bin, ohne ein Wort zu sagen, habe ich nie wieder mit ihm gesprochen. Und eigentlich wollte ich das auch nie wieder. Er ist für die Narben verantwortlich, dafür dass ich fast fünf Jahre lang lieber sterben wollte als weiter zu leben. Dafür das meine Weihnachten scheiße waren und für so viele Wunden auf meiner Seele. Niemals würde ich noch einmal anrufen oder auch nur mit ihm sprechen. Ausgeschlossen. Schnell drücke ich auf löschen und gehe zur Couch, um mich unter der Decke zu verkrümeln. Der Anrufbeantwortet bestätigt dies kurz mit einem „Die Nachricht wurde erfolgreich gelöscht" und ich atme erleichtert aus. Ich verbanne ihn ganz einfach aus meinem Leben und dann muss ich ihn nie wieder sehen, rede ich mir wie ein Mantra ein.

Es braucht einen Schlachtplan! Mein Baby und ich müssen aus dieser verpesteten Stadt weg. Eigentlich ist es sowieso ein Wunder, dass ich meinem Onkel bisher nicht wieder gesehen habe. Er wohnt ein paar Kilometer außerhalb von der Stadt theoretisch hätten wir uns treffen können. Theoretisch hätte ich auch Leo nochmal treffen können und ich will mein Kind wirklich nicht hier aufziehen. Ich greife nach meinem Tablet und öffne die Google Maps Karte. Es würde mir gefallen, wenn mein Kind in einem ruhigen Dorf aufwächst, ohne Schnösel und natürlich muss es ein günstiges Dorf sein, also mit schlechter Anbindung weit weg von zu Hause. Mhm... mindestens so vier Stunden von hier. Mein Finger fährt langsam über die Karte und zoomt an ein Dorf heran. Ich würde einen Nebenjob brauchen, das würde in so einem kleinen Dorf nichts werden. Mist. Das kann ich also vergessen...

In einem weiteren Tab öffne ich Stellenangebote vor Ort. Eine Bar ganz in der Nähe sucht eine Kellnerin, na wenn das nicht meine Chance ist. Ich greife nach meinem Handy und rufe direkt an, selbst wenn ich erstmal hier bleibe, wenn ich aufhöre zu studieren, bekomme ich keine Förderung mehr und somit wird es schwer die Wohnung zu halten. Etwas Taschengeld brauche ich, vor allem für die Ausstattung. Da wird verdammt viel Kohle notwendig. Was kostet wohl so ein Kinderwagen?

Es dauert nicht lange, da nimmt eine freundliche Männerstimme ab:

»Moin, hier ist Mike. Wie kann ich helfen?«
»Hi, hier ist Lucy. Ich habe Ihre Stellenanzeige gelesen. Ist die Stelle noch frei?«, erkundige ich mich nervös.
»Genau so sieht's aus! Ich schlage vor du kommst Probearbeiten. Morgen Abend? Und dann schauen wir wie es läuft«, schlägt er vor.

Ich nehme an und freue mich auf die Chance bei ihm Probe zu arbeiten. Die Details wollen wir dann einfach morgen besprechen. Etwas erleichterter als vorher schlüpfe ich nach einer Katzenwäsche in mein Schlafzeug und husche ins Bett. In dieser Nacht dauert es nicht lange bis ich friedlich einschlafe.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt