Kapitel 58

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Das Surren meines Handys lässt mich aufwachen. Genervt haue ich danach und es rutscht vom Tisch. Mein Kopf platzt und mir ist immer noch übel. Den Rest des Tages habe ich auf dem Sofa verbracht und mich etwas erholt. Als ich mich nach meinem Handy bücke, nimmt mein pochender Kopfschmerz zu. Es ist eine Nachricht von Leo:

Was hat der Arzt gesagt?
Ich helfe gerade beim Streichen – es wird dir gefallen!
Meinst du, du bist am Tag der Beerdigung wieder fit?
Leo

Ich habe echt keine Ahnung, wie es am Freitag sein wird. Im Moment brauche ich in jedem Fall eine Toilettenschüssel in der Nähe.

Schnell tippe ich meine Antwort:

Er dachte ich wäre schwanger – totaler mist. Aber nein bin ich nicht.
Das Blut wird noch getestet.
Liege auf dem Sofa. Mir geht's beschissen.

Nach nur wenigen Sekunden klingelt mein Handy – es ist Leo.

»Babe, was machst du nur?«, erkundigt sich am Telefon und ich kann laute Geräusche bei ihm im Hintergrund wahrnehmen.

»Ich weiß auch nicht«, stöhne ich. »Wenigstens wirst du kein Vater«, scherze ich.

»Das wäre auch keine Option für mich«, lacht er.

»Wie jetzt? Es hätte ja ausversehen passieren können?«

»Es gibt Mittel und Wege, Lucy. Ich bin nicht als Vater geeignet.«

»Nie?«, frage ich etwas nervös, da ich jetzt schon seine Antwort kenne.

»Äh.. ja, nie! Du ich muss weiter machen. Wollte nur deine Stimme hören. Sehen wir uns heute Abend? Ich könnte zu dir kommen«

»Ich glaube das ist keine gute Idee. Ich verbringe mehr Zeit auf dem Klo als auf dem Sofa.«

»Ok. Ich rufe nochmal durch...«, etwas bedrückt legt er auf.

Natoll. Er will also niemals Kinder haben? Wieso das denn nicht? Irgendwann will ich selbstverständlich welche haben. Werde ich dann niemals Mutter, nur weil er es nicht möchte? Das wird ne schöne Grundsatzdiskussion, denke ich.

--

Übelkeit überkommt mich erneut und ich springe sowie die letzten fünf Mal in dieser Nacht aus dem Bett und hechte zur Toilette. Nachdem sich wieder nichts als Säure sich entleert hat, schaue ich in den Spiegel. Ich sehe aus wie ein Geist. Meine Augen sind blau unterlaufen und meine Haut ist ganz fahl. Was ist das nur für eine Scheiße?

Heute Mittag sollen die Bluttests da sein und ich kann mich erneut in der Praxis melden. Leo hat gestern Abend natürlich nicht mehr angerufen. Langsam verzweifle ich etwas an meiner Situation. Seit fast zwei Tagen hänge ich jetzt schon hier zu Hause rum und es hört nicht auf. Gibt's denn dafür keine neu modernen Medikamente? Leo, müsste das doch wissen, denke ich mir. Schnell klettere ich erschöpft wieder in mein warmes Bett und wähle Leo's Nummer.

Nach wenigen Sekunden nimmt er ab:

»Heey, wie geht es dir?«, flötet er fröhlich in das Telefon. Ich habe ihn selbst vor dem Tod seines Vaters noch nie so entspannt gesehen. Und es freut mich so sehr für ihn. Sicherlich wegen seiner neuen Aufgabe.

»Nicht gut. Ich wollte dich etwas fragen«

»Kommen deine Tests nicht heute? Gib mir die Werte, dann schaue ich auch mal drüber. Ja frag ruhig, Babe.«

»Gibt es nicht Medikamente gegen das Brechen? Ich muss ständig zum Klo. Hab seit zwei Tagen nichts mehr gegessen«

»Naja, solange man nicht weiß, was es ist, ist das schwierig. Wenn du wirklich nichts bei dir behältst, musst du bald an einen Tropf. Ich komme nachher vorbei. Keine Ausrede«

Ich bejahe sein Besuchsvorhaben und lege auf. Vielleicht wäre es ja gut, wenn ich zu Fuß zum Arzt gehe, dann bekomme ich wenigstens etwas Luft.


In Jogginghose und dickem Parke trotte ich meinen Hausflur herunter. Der Weg zum Arzt ist wirklich nicht weit, heute kommt er mir jedoch ewig lang vor. Zwischendurch muss ich sogar eine Verschnaufpause einlegen, aus Angst ich müsste mich schon wieder übergeben.

Ich muss anscheinend so elendig aussehen, sodass mich die Sprechstundenhilfe direkt ins Sprechzimmer setzt.

Nervös zapple ich mit meinem Bein auf dem Fußboden und pule etwas an meinen Nagelbetten. Meine Handinnenflächen sind mal wieder total feucht, vielleicht aus Angst, vielleicht aber auch weil mein Kreislauf voll im Eimer ist.

»Hallo Frau Richter, Sie sehen ja furchtbar aus«, stellt der Arzt fest, als er endlich das Sprechzimmer betritt. Danke für den Hinweis – das weiß ich.

»Mhm...«

»Der Urintest war vermutlich negativ, richtig?«

»Ja, genau.«, presse ich geschwächt hervor.

»Bei dem Bluttest kam auch weiter nichts heraus. Ich fürchte, wir müssen weiter suchen. Wie oft müssen Sie sich übergeben und bleibt überhaupt was drin?«

»In der Nacht so vier- bis fünf Mal und am Tag so dreimal. Es bleibt nichts drin und ich versuche es auch nicht mehr.«

»Dann müssten wir sie ins Krankenhaus verlegen. Das wird sonst kritisch. Sie brauchen Flüssigkeit.«

»Das geht nicht. Ich kann in kein Krankenhaus. Persönliche Gründe«, stottere ich.

»Allein wegen der Rechtslage muss ich Sie einweisen.«

»Ja ok. Aber ich gehe selbst hin.« Denkt er...Niemals!

»Gut, so machen wir es.«

Die Sprechstundenhilfe am Empfangstresen stellt mir die Einweisung aus und ich trotte zurück nach Hause. Mein Handy klingelt – vermutlich macht sich Leo Sorgen.

»Ja?«, schnaube ich erschöpft in den Hörer.

»Was hat der Arzt gesagt?«, erkundigt er sich direkt.

»Er hat nichts gefunden und ich... ich soll ins Kr...Krankenhaus«, sage ich mit zitternder Stimme.

»Ich kann dich bringen und bei dir bleiben. Nachschauen müssten sie«

»Nein, das geht nicht.«

»Warum schnaubst du denn so?«

»Ich bin aus der Puste, mensch!«, fauch ich ins Telefon. Was fragt er denn immer so blöde.

»Lucy, da stimmt was nicht. Bitte lass dich untersuchen...«

Frustriert und völlig erschöpft lege ich einfach auf. Ich bin so kaputt, dass ich mich erstmal setzen muss. Leider spielt Leo nicht mit und das Handy klingelt erneut. Man ey...

»Was?«, schnaube ich genervt.
»Leg nicht einfach auf! Wo bist du? Ich komme zu dir.«
»Parkbank vorm Haus...«
»Warte da, ich komme«

Dann legt er auf und ich sacke genervt auf der Bank zusammen.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt