Kapitel 75

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Die Fahrt zurück in die Stadt verläuft meist schweigend. Die Stimmung ist aber inzwischen nicht mehr ganz so bedrückend, sondern vielmehr ein einvernehmliches Schweigen. Wir genießen die Anwesenheit des anderen einfach zunächst im Stillen. Mir entgeht nicht, dass mir Leo des Öfteren heimliche Blicke zuwirft, nur um dann wieder schnell nach vorne auf die Fahrbahn zu schauen.

»Wie geht es unserem Baby?«, erkundigt sich Leo und durchbricht damit die Stille. Bei dem Thema bekomme ich sofort eine Gänsehaut. Es ist das erste Mal, dass wir in Ruhe über meine Schwangerschaft reden und es ist auch das erste Mal, dass er von unserem Baby spricht.

Meine Kehle ist auf einmal staubtrocken, sodass meine Worte nur mühsam und leise hervordringen. »Gut. Ich muss die Tage wieder zur Kontrolle. Wenn du willst kannst du mitkommen?«

Erst nachdem ich meinen Satz beendet habe, denke ich daran was ich gesagt habe. Toll, Lucy. Wie immer bist du sowas von diplomatisch. Zappeln lassen, war die Devise. Nicht gleich mit offenen Armen empfangen... Aber mein Mund und mein Hirn stimmen nicht immer ganz überein.

Mit großen Augen strahlt mich Leo an. »Ich würde sehr gerne mitkommen.«
»In Ordnung.«

Die restliche Fahrt verfallen wir wieder in angenehmes Schweigen. Das ist aus meiner Sicht auch erstmal genug Fortschritt, strafe ich mich selbst.

Das brummen des Motors hallt durch die gesamte Tiefgarage. Der Portier nickt Leo freundlich zu und er parkt wie immer auf Stellplatz 10. Allein an diesem Ort hier hängen schon so viele Erinnerungen. Hier hat alles angefangen, hier hat er mich zum Arzt gebracht und hier habe ich auch Lynn verprügelt. Bei dem Gedanken schüttle ich den Kopf. Zu was Menschen in ihrer Wut fähig sind, das ist erstaunlich...

»Alles ok?«, erkundigt sich Leo, der mein Kopfschütteln natürlich mitbekommen hat.
»Jaja. Ähm Leo, was haben wir jetzt eigentlich vor?«

Verlegen grinst er mich an. Nachdem die Aufregung etwas verflogen ist, nehme ich sein Lächeln wieder ganz anders wahr. Der Kerl haut mich einfach aus den Socken und er sieht so unglaublich gut aus... Lucy, stark bleiben – ermahne ich mich.

»Ich habe doch gesagt, dass ich eine Überraschung für dich habe«
»Hier?«
»Na wart's ab...«

Leo schwingt sich aus dem Auto und holt meine Taschen aus dem Kofferraum. Gemeinsam gehen wir in Richtung Fahrstuhl. Dort erkenne ich sofort, dass das Schild der Praxis ausgetauscht wurde. Dort steht nun Prof. Dr. Leo Heine – Chrirurg.

Ich male mit dem Finger das Schild nach.

»Wow. Das sieht super aus«
»Ja, oder?«, grinst Leo zufrieden und drückt auf den Knopf direkt neben dem Schild.
»Wieso fahren wir in die Praxis?«
»Ich will dir was zeigen«

Der Fahrstuhl setzt sich schließlich in Bewegung und hält bei der Praxis von Leo an. Kurz muss ich mich daran erinnern, dass er kurz nach der Beerdigung seines Vaters mit dem Renovieren angefangen hat und ich das Ergebnis noch gar nicht kenne. Als sich die Türen schließlich öffnen, trägt Leo die Taschen in den Flur der Praxis und stellt sie dort ab. Kurz wundere ich mich, dass niemand in der Praxis ist, als mir schließlich einfällt, dass ja Samstag ist. Ich lasse meinen Blick durch den Empfangsbereich gleiten und bin wirklich erstaunt. Es sieht wirklich super aus. Auf dem Boden liegt schickes Parkett und die Wände sind in einem elfenbeinton gestrichen. Auch der Empfangstresen ist neu und wir indirekt beleuchtet.

»Wow, dass sieht toll aus! Wirklich. Fühlst du dich hier wohl?«
»Danke. Ja, sehr. Es war absolut das Richtige«

Mich freut es wahnsinnig, dass ich es war, die Leo wieder dazu gebracht hat als Arzt zu praktizieren. Ihn wieder in richtige Bahnen zu lenken und ihn jetzt hier so glücklich zu sehen. Stolz grinse ich ihn an.

»Ist dir eigentlich klar, was du für eine Entwicklung hingelegt hast?«, frage ich spontan nach. Ich will, dass ihm bewusst ist, wie toll er sich entwickelt hat.

»Ja. Und das habe ich auch dir zu verdanken, Lucy. Ich... ich habe es so lange nicht erkannt. Aber jetzt sehe ich es. Du tust mir gut und ich... ich liebe dich. Ich will, dass du zurückkommst«

In diesem Moment setzt mein Herz erneut aus und meine Atmung setzt aus. Das ist genau das was ich von ihm hören wollte. Nur muss er genau das auch noch beweisen. Diesmal denkt zuerst mein Hirn und befördert die korrekte Antwort auch direkt auf meine Zunge.

»Ich werde darüber nachdenken«, sage ich und schenke ihm ein zartes Grinsen.

Leo fährt mit seinen Händen durch seine Haare. »Du machst es mir echt nicht leicht«, murmelt er.

»Es war nie leicht zwischen uns«, sage ich und kann ein schelmisches Grinsen nicht vermeiden.
»Naja, dann bist du ja jetzt bereit für deine Überraschung. Lass uns hochfahren«

Leo bugsiert mich mitsamt der Taschen wieder in den Fahrstuhl und drückt auf den Knopf für seine Penthouse Wohnung. Ich war ziemlich lange nicht mehr dort und bin entsprechend nervös. Ich hasse Überraschungen... Er soll da bloß kein großes Ding draus machen...

Mit einem leisen pling schieben sich die Fahrstuhltüren wieder auf und wir betreten seine Wohnung. Sofort sauge ich den typischen Duft von Leo, der sich in der ganzen Wohnung verteilt hat, auf und atme tief ein. Ein heimisches Gefühl überkommt mich und meine Aufregung lässt sofort nach. Es sieht noch so aus wie immer – Gott sei Dank!

»Bevor ich dir deine Überraschung zeige, musst du mir was versprechen...«
»Kommt drauf an...«
»Du musst aufhören in dieser Spielunke zu arbeiten. Ich will das nicht. Der Pub ist nett und auch Mike ist cool, aber ich ertrage nicht, dass dich die Männer dort so begaffen«

Bums. Und da ist er wieder. Der eifersüchtige Herr Heine, der wieder anfängt mir Vorschriften zu machen. Ich muss mich direkt zusammenreißen, um nicht hoch zu fahren.

»Ich muss schon mal gar nichts«, antworte ich patzig.
»Lucy, bitte. Ich zahle dir gerne Unterhalt, aber bitte... hör auf da zu arbeiten. Ich habe genug Geld«
»Genau das ist das Problem was wir haben, Leo!« Wütend fahre ich mir durch meine dunklen Haare. »Du kannst mir nicht irgendwelche Vorschriften machen. Und ich will dein Geld nicht... Ich will selbstständig sein und mein eigenes Geld verdienen«

»Lucy, reg dich nicht auf. Bitte. Du kannst ja dafür auch in der Praxis aushelfen, mhm? Was meinst du?«
»Argh... Das ist nicht das Gleiche!« Mit einem Schwung knalle ich meine Tasche auf den Boden und eile raus auf die Terrasse. Ich brauche frische Luft. Das kann nicht sein Ernst sein. Immer will er mir erzählen was ich zu tun und zu lassen habe. Wütend stapfe ich auf der Terrasse hin und her.

In der Tür entdecke ich einen schmunzelnden Leo der mich beobachtet.

»Das schiebe ich jetzt mal auf die Schwangerschaftshormone«, sagt er und grinst mich dabei belustigt an.

»NICHT.WITZIG!«, knurre ich ihn an und kann seine Belustigung absolut nicht teilen. Ich bin nämlich stinksauer.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt