Kapitel 62

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LEO

            

Mein Kopf macht bei dem ganzen Scheiß nicht mehr mit. Mein Hirn matert.

Immer wieder schießt mir die Szene aus dem Krankenhaus vor meine Augen und benebelt meine Sinne.

Scheiße, dass darf nicht wahr sein. Das ist ein Baby auf dem Ultraschall. In Lucy's Bauch. Fuck, ich werde Vater. Das kann nicht wahr sein. Ich bin nicht mal ein guter Freund, wie soll ich ein Vater sein? Ohne weiter nachzudenken, fliehe ich aus dem Behandlungszimmer. Die Gänge kann ich gar nicht mehr wahrnehmen. Ich sehe nur noch den Ausgang, alles andere ist verschwommen. Das sind passende Symptome für eine Panikattacke...

Ich schlage auf das Lederlenkrad meines Range Rovers ein. Das geht nicht. Ich will das nicht. Panische Angst überkommt mich. Wie im Tunnel drücke ich das Gaspedal durch. Rase über rote Ampeln und werde angehupt. Alles interessiert mich nicht. Ich muss hier weg...

Ich schüttle meinen Kopf um die Gedanken abzuschütteln und Eile zu meinem Whiskey-Stand. Die Angst betäuben funktioniert seit zwei Tagen ganz gut. Der einzige Weg für mich meinem Gefühlschaos zu entfliehen.

Meine Mom hat uns damals verlassen, Dad war mit mir alleine. Was, wenn ich irgendwann nicht mehr kann? Dann muss Lucy alleine ein Kind großziehen. Mein Kind. Fuck.

Wütend trete ich gegen meinen Tisch, der nur für meinen Whiskey bestimmt ist. Dieser ist nicht sonderlich stabil und bricht inklusive der Whiskey Flasche zusammen.

»Fuck!«, brülle ich so laut ich kann.

Schnell greife ich zu meinem Handy und wähle eine Nummer die ich schon länger nicht gewählt habe. Die von Daniel.

Sofort springt er ans Telefon: »Moin, Leo! Alles schön bei dir?« Seine Stimme klingt fröhlich, für mich viel zu fröhlich.

»Moin«, brumme ich ins Telefon. »Daniel, ich brauche deine Hilfe.«

»Klingt nicht gut. Wobei?«

»Können wir uns in Mike's Pub treffen?«

»Ey, Leo! Es ist 11 Uhr!«

»Ich brauch dich«

»Okay, bis gleich!«

Schnell lege ich auf. Ich habe keine große Lust auf Telefonkonversation. Ich brauche ein Bier und einen Freund zum Reden.

Mit meinem Benz heize ich durch die Straßen. Nach kurzer Zeit erreiche ich den Pub und parke kackendreist auf dem Gehweg direkt davor. Sicherlich werden sich einige Herrschaften darüber wieder aufregen, aber das kratzt mich nen feuchten Keks.

Als ich den Pub betrete, kommt mir der gewöhnliche Moddergeruch entgegen und ich fühle mich direkt wohler. Das passt nämlich besser zu meiner Stimmung.

Ich entdecke Daniel hinten in der Ecke, zwei Biere stehen bereits auf dem Tisch. Gerade bin ich echt froh, Daniel zu haben. Auch wenn ich unsere Freundschaft nicht gut pflege... Er ist immer da, wenn ich ihn brauche. Genauso andersherum.

»Wann wolltest du mich eigentlich über deinen Dad informieren?«, platzt er barsch hervor als ich mich auf die Bank gleiten lassen.

»Ich..äh! Weißt du das ist nicht so einfach. Ich übernehme seine Praxis. Woher weißt du davon?«

»Aus der Zeitung. Ihr steht ganz schön in den Medien. Die fotografieren dich ständig und wollen wissen, was der begehrteste Junggeselle der Stadt nun macht...«

»Ernsthaft?«

»Jap. Du solltest vielleicht mal Klatschpresse lesen...«

»Bin kein Junggeselle«, brumme ich und nehme einen großen Schluck von meinem Bier.

»Lass mich raten: Lucy, richtig?«

»Mhm...« Ein siegessicheres Grinsen schleicht sich auf Daniel's Gesicht. Ich hingegen kriege ein Stich in mein Herz. Ich habe sie nämlich einfach allein gelassen. So dumm wie ich bin.

»Sie ist schwanger. Ich bin abgehauen«, berichte ich knapp und trinke mein Bier auf einmal aus. Ich winke dem Barmann zu und er versteht sofort – ich brauche Nachschub.

»Fuck. Äh.. Leo. Was soll ich sagen? Du wirst Vater, Glückwunsch!«, sagt er und haut mir freundschaftlich auf die Schulter.

»Ich kann nicht.«

»Wie du kannst nicht? Ich weiß du hast ne scheiße Familie gehabt und ne bekackte Kindheit. Aber du kannst alles anders machen.«

»Was ist wenn ich irgendwann flüchte, wie Mom damals?«, wütend schüttle ich den Kopf. Der Barmann hat zum Glück nicht viele Gäste – kein Wunder um 11 Uhr Vormittags – und bringt mir direkt mein zweites Bier. Sofort nippe ich daran.

»Wieso solltest du? Wenn du Lucy liebst und dein Kind? Trink doch nicht so viel. Das hilft dir auch nicht«
»Haha...Klar, hilft das. Zumindest kurzfristig«

»Hast du dich bei Ihr gemeldet?«, bohrt Daniel nach.
»Ne...«, sage ich schuldbewusst.
»Mann, alter! Weißt du was das für Sie bedeutet? Sie kann nicht mal zu Ende studieren«

Daniel hat natürlich Recht. Ich stehe fest im Beruf, kann wieder Arzt sein und sie? Kann nicht mal in den Beruf einsteigen. Es wird ihr immer verwehrt bleiben. Gott, bin ich egoistisch.

»Ja siehst du. Ich bin egoistisch bis zum geht nicht mehr. Wie soll ich ein Vater sein?«

»Andere Frage: Kannst du Lucy gehen lassen?«
Volltreffer. Natürlich nicht.
»Nein...«

Plötzlich klingelt mein Handy. »Ihre Freundin, moment!«, sage ich zu Daniel und gehe ran.

»Weißt du eigentlich was du für ein blöder Arsch bist? Du hast sie sitzen lassen. In einem scheiß Krankenhaus! Sie war völlig aufgelöst als ich sie abgeholt habe. Du bist so ein feiger Egoist. Sie ist abgehauen und zieht sich zurück. Ich weiß zwar wo sie ist, aber, man! Das macht sie nur wegen Dir! Sie zerbricht, wegen Dir! Du ARSCH!«, brüllt sie in den Hörer und legt auf.

Krass. Sie hat Recht...

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt