Kapitel 48

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Am nächsten Morgen wache ich im Bett im Schlafzimmer auf. Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen habe, aber nachdem wir gestern noch ein paar Nudeln mit Ketchup gegessen haben, habe ich mich etwas hingelegt. Ich vermute, dass Leo die ganze Nacht nicht einmal das Bett gesehen hat und möchte direkt nach ihm schauen.

Ich habe Angst, dass Leo den Tod seines Vaters nicht verarbeiten wird. Dass er sich sperrt und viel mehr, dass er damit auch unsere wacklige Beziehung gefährdet. An seiner Stelle wäre ich direkt zurück nach Deutschland geflogen. Hätte mich sofort um Wohnung, Praxis aber auch um die Beerdigung gekümmert. Ich kann nicht verstehen, warum er sich hier verkriechen will. Vor allem stelle ich mir die Frage, was mit der Praxis seines Vaters passieren wird. Er könnte sie immerhin übernehmen. Es wäre sogar sein Gebiet. Aber immer wenn ich ihn auf das Thema anspreche, macht er dicht. Noch so eine Facette von ihm, die ich nicht verstehen kann.

Als ich zur Uhr schaue, stelle ich fest, dass es schon 11 Uhr ist. Verdammt, habe ich lange geschlafen. Ich eile in meinem Schlafshirt die Treppe herunter und halte nach Leo Ausschau. Er liegt bekleidet auf dem Sofa und schläft. In der einen Hand hält er eine zu Dreivierteln leere Flasche Bourbon. Schön und gut wenn er seinen Kummer verdrängen will. Aber er trinkt viel zu viel. Und das seit zwei Tagen.

Ich gehe direkt zum Sofa und lasse mich neben ihm nieder. Leo murrt leise und dreht sich um. Da ich nicht weiß, wie viel oder auch eher wie wenig er geschlafen hat, beschließe ich ihn weiter dösen zu lassen und decke ihn mit einer Decke zu.

Die Zeit nutze ich, um mich frisch zu machen und meine Zähne zu putzen. Ich bereite mir in der Küche ein kleines Frühstück vor und setze mich an den Tisch. Leo scheint noch immer zu schlafen. Ich nehme sein Telefon vom Tisch und gehe auf die Dachterrasse hinaus, um Brian
O'Connor anzurufen. Ich muss wissen, wer sich um die Formalitäten kümmert, wenn Leo nicht im Stande dazu ist.

Mr. O'Connor ist dankbar für meinen Anruf und erklärt, dass er sich soweit um alles gekümmert hat, es aber dringend notwendig sei, das Leo sich um einen Beerdigungstermin und um die Praxis kümmert. Er könne die Angestellten nicht ewig im Dunkeln lassen. Ich bedanke mich für seine Unterstützung und beende das Gespräch. Als ich mich umdrehe und wieder rein gehen möchte, steht Leo hinter mir. Ups...

»Mit wem hast du gesprochen?«, fragt er neugierig. »Ist das mein Handy?« Jetzt sieht er weniger neugierig, sondern mehr verwundert aus.

»Ich ähm... Habe mit Mr. O'Connor telefoniert«, gestehe ich. Leo fährt sich mit seiner verletzten Hand durch die Haare und schnaubt.

»Warum mischt du dich da ein?«, zischt er frustriert. Woraufhin ich beschließe meine Samthandschuhe erstmal wieder auszuziehen.

»Leo, du... es...Argh! Du musst dich um die Dinge in Deutschland kümmern. Die Dinge regeln. Ich wollte wissen, ob Mr. O'Connor schon etwas unternommen hat«, erkläre ich.

Leo's Blick wirkt wütend und ich bereite mich innerlich auf seinen nächsten Ausraster vor.

»Das entscheide ich! Nicht du, Lucy!«, brummt er.

»In Ordnung! Dann sauf dich weiter zu und renn von allem davon. Du... Du musst dich um die Beerdigung kümmern. Um die Praxis. Was soll daraus werden?«
Jetzt werde ich wütend. Ich habe damals alleine, mutterseelenalleine eine Beerdigung organisiert. Für zwei Personen. Sofort nach ihrem Tod. Ich habe das Haus verkauft und alles binnen einer Woche arrangiert.

»Lass das meine Sorge sein. Ich bin nicht wie du, Lucy. Tapfer und fürsorglich! Das passt nicht zu mir. Ich habe dich von Anfang an vor mir gewarnt. Aber du wolltest ja nicht hören!«, schreit er mich an.

»Achso! Hier sind wir jetzt wieder angekommen? Ernsthaft Leo?«, kreische ich ihn an. »Wie viel Hirn hast du dir weggesoffen? Schwing deinen Hintern und kümmere dich um das, was du tun musst. Als sein Sohn!«

Betroffen und schockiert starrt er mich an. Noch immer stehen wir auf der Dachterrasse. Leo voll bekleidet. Ich noch immer in meinem Schlafshirt. Der Wind zieht und ich fange vor Kälte an zu zittern.

»Das entscheide ich ganz alleine. Ich glaube es ist besser, wenn du schon mal zurück fliegst. Ich brauche Zeit für mich.«, sagt er kühl.

»Wenn das das ist, was du willst«, entgegne ich resigniert und blicke zu Boden.

»Ja«, sagt er stumpf und lässt mich auf der Terrasse zurück. Angestrengt kämpfe ich darum, meine Tränen zu verbergen. Zu verbergen wie sehr er mich mit diesem Verhalten verletzt. Ich will für ihn da sein, ihm helfen. Aber er blockt alles ab. Wir machen einen Schritt nach vorne und dann wieder zwei zurück.

Alles erinnert mich an meine Eltern, reißt die Wunden wieder auf, schärft die Erinnerungen. Lässt meine Dämonen wieder herein. Ich kann nicht mehr für ihn tun, als das was ich ihm gerade gebe. Ich bin selbst kaputt und nicht im Stande mich noch mehr auf ihn einzulassen.

Resigniert betrete ich wieder das Apartment und packe meine Sachen zusammen. Ich muss feststellen, dass Leo nicht mal mehr in der Wohnung ist. Er ist einfach gegangen. Dieses Verhalten kann ich nicht nachvollziehen. Wie kann man seine Augen nur so sehr vor der Wahrheit verschließen?
Ich verstehe, dass er sich hier zurückzieht, sich betrinkt, damit alles nicht wahr ist. Aber dieses Verhalten ist der reinste Kindergarten. Es bringt ihn nicht weiter und mich nicht. Es macht uns kaputt.

Wütend verlasse ich das Apartment und bestelle mir unten im Foyer ein Taxi. Dieses sammelt mich binnen zehn Minuten ein und setzt sich in Richtung Flughafen in Bewegung.

»Vielen Dank«, sage ich zu dem Fahrer als wir das Abflugterminal erreichen. Am Schalter buche ich mir den nächsten Flug zurück nach Deutschland. Dies bedeutet für mich noch zwei Stunden Wartezeit.

Ich nutze die Zeit um mit Hannah zu telefonieren und ihr den aktuellen Stand zu schildern. Hannah verspricht mir mich abzuholen, sodass ich nicht alleine sein muss. Dafür bin ich ihr unglaublich dankbar. In diesem Moment bin ich nicht mal mehr in derLage zu weinen. Es geht einfach nicht mehr. Es ist, als wären alle Tränenversiegt. Die Wut über sein Verhalten übermannt mich und mein Puls beschleunigtsich. 

Erst als ich in Deutschland lande und Hannah in die Arme schließe löstsich meine Anspannung und meine Tränen kullern still über meine Wangen. Nichtschon wieder...    

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt