Kapitel 63

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Vor lauter Nervosität zittern meine Hände als ich zu meinem Handy greife und in meinen Kontakten nach der Nummer des Frauenarztes suche. Verdammt. Die letzte Nacht habe ich alleine in meiner Wohnung verbracht. Von Schlafen kann nicht wirklich die Rede sein. Außer die paar Stunden in denen ich vor Übermüdung eingeschlafen bin. Heute ist die Beerdigung und ich weiß noch immer nicht, ob hingehen soll oder nicht.

Ich drücke auf wählen und es beginnt zu tuten.

»Praxis Dr. Stiegeberg, Guten Tag. Wie kann ich helfen?«, erklingt eine freundliche Stimme.

»Äh. Guten Tag. Richter mein Name. Ich bin immer bei Ihnen in Behandlung und habe im Krankenhaus bestätigt bekommen, dass ich schwanger bin. Ich würde gerne einen Termin vereinbaren«

»Gerne. Passt es Ihnen morgen um 17 Uhr?«

»Ja. Das wäre super.«

»Ok. Habe ich für Sie eingetragen. Bringen Sie ruhig ihren Freund mit«

Mit dieser Aussage trifft die Dame total ins Fettnäpfen. Man. Ich habe aber keinen dazu.

Ich murmle nur ein „mhm... Danke!" und lege auf.

Geknickt lasse ich mich auf mein Sofa fallen und ziehe mir die Decke über den Kopf. Am liebsten würde ich wild strampeln bis einfach alles wieder vorbei ist und dieser Scherz ein Ende hat. Erneut greife ich nach meinem Handy und tippe eine SMS an Hannah:

Hannah?
Soll ich jetzt zur Beerdigung gehen, oder nicht?
Bin ratlos...

Kurze Zeit später kommt direkt die Antwort.

Also ich würde nicht gehen! Aber an deiner Stelle... Naja du würdest es bereuen!

Ich kenn Dich!

Grübelnd überlege ich, ob ich nun wirklich hingehen sollte. Mann, manchmal ist mir noch immer so unglaublich schlecht.

Noch eine Stunde, wenn ich hin möchte, muss ich mich jetzt umziehen! Mit nervösem Magen stehe ich vom Sofa auf und suche im Schrank mein schwarzes Kleid und einen dunklen Blazer heraus.

Meine Haare knote ich schnell zu einem Zopf – kein großes Tam Tam. Dafür bin ich viel zu erschöpft.

Auf dem Sideboard greife ich nach meinem Schlüssel und mache mich schließlich auf den Weg zur Beerdigung. Mit dem Bus sind es nur ein paar Stationen. Das sollte ich wohl schaffen. Mein Magen rumort die ganze Zeit. Ich bekomme sogar erneut feuchte Hände. Inständig hoffe ich, es bis zur Toilette in der Kapelle des Friedhofs zu schaffen.

Als meine Haltestelle auf der Anzeige erscheint, betätige ich den „Stopp"-Knopf und hangle mich zur Tür. Um mich herum beginnt alles zu schwimmen und nur mit Mühe kann ich mich festhalten.

»Miss, geht es Ihnen gut?«, erklingt eine Frauenstimme neben mir.

»Ähh... Ja. Danke. Es geht schon wieder.«

In diesem Moment hält der Bus und die Türen öffnen. Schnell sauge ich die frische Luft in meine Lungen und atme ein paar Mal tief ein und aus, ehe ich mich auf den Weg zur Kapelle mache. Am Eingang des Friedhofs strömen einige Menschen durch das Tor. Herr Prof. Dr. Heine muss sehr beliebt gewesen sein. Sicher weisen ihm auch einige Patienten die letzte Ehre. Ich schließe mich der Masse an und folge Ihnen durch den Torbogen.

Links und rechts von mir wachsen hohe Tannen und wieder überkommt mich beim Laufen eine leichte Übelkeit. Jetzt reiß dich zusammen – ermahne ich mich.

Am Eingang der Kapelle entdecke ich Leo. Ganz unterbewusst halte ich die Luft an. Ein Kribbeln durchfährt meinen ganzen Körper. Himmel – wieso macht er mich immer so nervös? Noch hat er mich nicht gesehen und schüttelt am Eingang allen brav die Hand.

Als ich kurz vor ihm stehe, richtet er seinen Blick auf mich.

Er lächelt nicht, aber ich kann sehen, dass seine Augen aufleuchten. Ohne zu zögern kommt er auf mich zu.

»Lucy... Danke, dass du hier bist«, sagt er und streichelt dabei meine Schulter. Unsere Unterhaltung ist komisch. Kühl und distanziert. Bestimmt will er mich jetzt nicht mehr...

»Ich... ich bin... für dich hier«, stottere ich und schon wieder wird mir schwindelig, sodass ich mich an Leos Arm klammere.

»Ist alles ok bei dir? Geht es dir gut?«, fragt er besorgt.

„Nein, du Idiot!", denke ich. Aber sagen tue ich das an diesem Tag natürlich nicht. Ich will ihn nicht zusätzlich belasten.

»Äh.. ja...«

»Können wir... nach dem hier reden? Triff mich am Ausgang ja?«

»In Ordnung... Bis dann!«

Im gleichen Moment wendet sich Leo ab und geht in die Kapelle. Erst jetzt spüre ich, wie lange ich die Luft angehalten habe und atme tief ein. Meine Hände zittern. Das ist echt alles zu viel für mich. Ich sollte noch eine Runde frische Luft schnappen und meinen Kreislauf in Schwung bringen, ehe ich in die Kapelle gehe.

Ich gehe Richtung Ausgang und merke wie alles schwarz wird. Blitzschnell sinke ich zu Boden.

»LUCY,LUCY!!!«, dringt eine panische Stimme in mein Ohr. Langsam schlage ich die Augen auf.

»Was ist denn?«, murmle ich noch völlig benebelt.

»Du bist... du bist umgekippt und lagst die ganze Zeremonie lang hier draußen. Und... du blutest. Der Krankenwagen ist unterwegs«, erklärt mir Leo

»Blut, was?« Schnell werde ich panisch und versuche meinen Blick nach unten zu richten. Leo lässt mich nicht richtig hingucken, aber ich kann eine Blutspur zwischen meinen Beinen erkennen.

»Nein...Leo. Das Baby! Oh mein Gott«, sage ich und breche in Tränen aus. Ich wollte eigentlich kein Baby, aber jetzt habe ich solche Angst, es könnte ... es könnte sterben.

»Beruhige dich! Es wird alles gut«, spricht Leo mir zu.

Ich kann gerade noch die Krankenwagen-Sirenen wahrnehmen, als mich die Dunkelheit erneut übermannt.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt