Ich renne die Straße entlang. Mein Herz rast und die Tränen kullern weiter ungebremst über meine Wangen. Ich nehme hinter mir ein Geräusch eines aufheulenden Motors war und hoffe, dass Leo sich nicht angetrunken hinter das Steuer gesetzt hat. Vor mir entdecke ich eine anrollende Straßenbahn. Ich muss die Bahn erreichen, unbedingt. So schnell ich kann renne ich über die Straße auf den Bahnsteig. Die Türen sind inzwischen bereits geöffnet und ich springe rein. In diesem Moment schließen die Türen und die Bahn fährt los. Ich blicke aus dem Fenster und sehe den Wagen von Leo vorbeifahren. Wieder kämpfe ich mit den Tränen. Was habe ich nur getan? Was habe ich meinem Herz und was habe ich Ben's Herz angetan? Wie soll ich ihm das jemals beichten?
Zu Hause angekommen bin ich froh, allein zu sein. Ich genieße die Stille. Nachdem ich mich ausgezogen habe krieche ich ohne mich abzuschminken in mein Bett. Ich schlüpfe unter die Decke, ziehe die Beine an und schluchze los. Irgendwann nach einigen Stunden schlafe ich erschöpft ein.
Die Sonnenstrahlen kitzeln mein Gesicht und ich wache langsam auf. Ich blicke auf die Uhr – es ist bereits elf Uhr. Es ist gestern spät geworden und ich bin völlig erschöpft. In Gedanken gehe ich den gestrigen Abend durch. Ich kann einfach nicht vergessen. Ich kann nicht vergessen welche Spannung zwischen uns herrschte und ich kann nicht vergessen wie behütet ich mich seit langem gefühlt habe. Leo ist der erste Mann bei dem ich diese Art von Gefühlen entwickelt habe. Dies hebt mich auf eine ganz andere innigere Ebene, die ich in einem halben Jahr mit Ben nie erreicht habe.
Völlig in Gedanken versunken, gehe ich den gestrigen Abend immer wieder durch und versuche mir zu erklären, dass ein Krieg mit Lynn aussichtslos ist und ich meine Beziehung mit Ben dafür nicht aufs Spiel setzen kann. Leo hat ganz andere Interessen und ich bin viel zu jung für ihn - spreche ich mir wie ein Mantra vor, um es vielleicht irgendwann glauben zu können.
Es ist Sonntag und ich habe bereits seit zwei Tagen nichts mehr von Leo gehört. Aber auch mit Ben und Hannah habe ich nicht gesprochen. Beiden habe ich erzählt, dass mich eine schreckliche Erkältung plagt, ich kaum sprechen kann und daher das Bett hüte.
Am Sonntagnachmittag wird selbst mir meine Tatenlosigkeit und das Verkriechen zu viel. Ich packe meine Sporttasche und suche meinen Gutschein für den Besuch in einem schicken Fitnesscenter aus meinen Unterlagen. Diesen habe ich von Hannah zu meinem Geburtstag bekommen – heute ist der ideale Tag diesen einzulösen.Ich staune nicht schlecht als ich mich in dem Club umblicke. Die Trainingsgeräte sind sehr viel neurer als die in meinem gewöhnlichen Fitnessstudio und die Trainingsfläche bietet Ausblick auf den Inhouse-Pool. Die Dame an der Rezeption hat mir auch gesagt, dass die Sauna Landschaft absolut zu empfehlen ist. Ich freue mich auf den Tag und versuche mich abzulenken. Nach so einem Wellnesstag sieht die Welt sicher schon ganz anders aus und ich kann positiv in die neue Uni-Woche starten.
Ich ziehe meinen schlichten Bikini an und betrete die Poollandschaft. Hannah oder auch Ben würden sicher nicht auf die Idee kommen alleine in einen Sportclub zu gehen, doch mir tut sowas gut. Ich kann mich auch alleine beschäftigen und genau das brauche ich jetzt.
Schnell stelle ich mich unter die Dusche, um im Anschluss daran meine Bahnen schwimmen zu können. Ohne Rücksicht auf Verluste starte ich meine erste Bahn mit einem Köpper ins Wasser. Nach zwanzig Bahnen bin ich völlig erschöpft und tauche nach meinem letzten Schwimmzug am Beckenrand auf. Was zum Teufel... Ich kann meinen Augen kaum trauen. Direkt vor mir sehe ich Leo der neben Lynn auf einer der Entspannungsliegen liegt und sich amüsiert unterhält. Verdammt. Das kann nicht wahr sein. Hastig sehe ich mich um und überlege, wie ich mich ohne aufzufallen, aus dem Pool stehlen kann. Ach nein... denke ich. Ich wollte daran arbeiten, reifer zu werden. Das war einer der Vorsätze den ich mir in einer der letzten verheulten Nächte vorgenommen habe. Also atme ich tief durch, tue so als hätte ich Leo nicht gesehen und steige erhobenen Hauptes aus dem Pool.
»Äh... Hi Lucy, was machst du denn hier?« fragt Leo erstaunt und erhebt sich ohne zu zögern von seiner Liege. Ach verdammt, denke ich. Auf Erklärungen, warum ich abgehauen bin und mich nicht gemeldet habe, habe ich gar keine Lust. Ich wollte Abstand gewinnen und bin nun wieder voll gegen die Wand gelaufen. Blondie ist über meine Anwesenheit natürlich nicht sehr erfreut. »Hi Leo«, sage ich und spüre wie mein Gesicht errötet.
»Wo bist du denn am Freitag so schnell hin? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.«
»Ja das frag mal lieber Lynn!« entgegne ich schnippisch und ohne mal wieder vorher darüber nachgedacht zu haben, was ich eigentlich sage. Tolles Vorhaben mit dem Erwachsen werden, Lucy. Leo schaut erst mich und dann verdattert Lynn an, die nur unschuldig mit den Schultern zuckt. Als ich mich gerade zum Gehen abwende, ich möchte dieser Situation nämlich einfach nur entfliehen, packt mich Leo am Arm.
»Warte mal! Können wir nicht darüber reden? Bitte gib mir deine Handynummer, dann melde ich mich in einer ruhigen Minute bei dir«Sein Ausdruck ist verzweifelt und doch voller Hoffnung. Widerwillig gebe ich ihm meine Nummer und verlasse danach zügig den Poolbereich. Den Gutschein hätte ich kaum besser nutzen können, schmolle ich. Allerdings habe ich absolut keine Lust Leo und Lynn weiter zu beobachten noch beide nackt in der Sauna zu treffen. Also gehe ich duschen und ziehe mir meine Jogginghose an, um mich auf den Heimweg zu begeben.
Zu Hause schalte ich den Fernseher ein und kuschle mich auf mein Sofa. Ich versuche Leo nach besten Möglichkeiten zu verdrängen und gönne mir eine halbe Packung von meinem Lieblingseis in der Sorte Peanutbutter. Jetzt fühle ich mich zumindest seelisch wieder etwas besser.
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Faces - Enough for love?
RomanceLucy studiert PR und ist mit ihrem langweiligen Studentenleben mehr als zufrieden. Doch dieser Unfall und diese Begegnung stellen ihr ganzes Leben auf den Kopf. Sie ist eigentlich ein ganz braves Mädchen, aber plötzlich tut sie Dinge, die sie sonst...