Es ist schon dunkel, als wir den englischen Pub erreichen, den Leo für unser Abendessen ausgesucht hat. Der Fußweg hat sicher eine halbe Stunde in Anspruch genommen, in der wir einfach angenehm schweigend nebeneinander hergelaufen sind. Keine unangenehme Stille, sondern eine sehr zufriedene. Unsere Hände waren die ganze Zeit ineinander verhakt. Erst als mir Leo die Tür zum Pub öffnet, lösen wir uns voneinander. Aber auch nur kurz, denn seine Hand schnellt zu meinem unteren Rücken und er deutet mir hinein zu gehen.
Auch diese Art von Zuneigung genieße ich unglaublich. Ich fühle mich in seiner Anwesenheit immer behütet und geborgen.
Der Pub ist ziemlich voll, sodass ich bezweifle, dass wir noch einen Tisch finden. Es läuft Fußball und alle Gäste starren wie gebannt auf die Leinwände. Leo deutet mir die Treppe nach unten zu gehen. Hier ist noch etwas mehr Platz und wir finden einen Tisch. Der Raum sieht aus wie ein uriges Kellergewölbe und passt sehr gut zu dem schicken Pub im oberen Stock.
»Darf ich Ihnen schon etwas bringen?«, erkundigt sich der Kellner freundlich.
»Ein Apple Cider, bitte«, antworte ich prompt.
»Ich nehme ein dunkles Bier.«
Der Kellner entfernt sich und Leo grinst mich an. »Da hat aber wer Durst, was?«
»Die Shopping-Tour war schließlich anstrengend!«
Leo greift auf dem Tisch nach meinen Händen und schaut mich zufrieden an. Kann es sein, dass wir wirklich alles überwunden haben was uns im Weg stand? Oder kann man dies nach ein paar Monaten noch nicht behaupten? Zufrieden seufze ich.
Nach dem Essen, was wirklich unglaublich gut war, bestellt Leo die Rechnung. Als wir draußen wieder an die frische Luft treten, spüre ich den Alkohol, der seine Wirkung zeigt. Das Fußballspiel muss schon vorbei sein, denn alle mit Trikot bekleideten Fans stehen hier vor dem Pub. Auf einmal nehmen wir ein Gegröle wahr, welches hinter dem Pub zu verorten ist.
»Leo, was kann das sein?«, frage ich leicht nervös.
»Sicher nur die Fans. Mach dir keine Sorgen. Wenn Tottenham gegen Arsenal spielt, geht das nicht immer gut aus.«, versucht mich Leo zu beruhigen.
Die Schreie und Rufe werden immer lauter. Plötzlich taucht die Meute vor dem Haus auf. Jemand wird geschubst und knallt mit dem Hinterkopf gegen einen Laternenpfahl. Er geht zu Boden. Schockiert über diese Szene ziehe ich meine Hände vor den Mund. Erst jetzt bemerke ich, dass Leo zu dem am Boden liegenden Mann gestürmt ist.
Als ich weiter auf Leo zugehe, versuche ich trotzdem Abstand zu der noch umherwirbelnden Meute zu halten. Ich kann hören, dass Leo sagt er sei Arzt. Dann schaut er sich den Verletzten an, dreht ihn vorsichtig um. Er wirkt routiniert.
»Lucy, gib mir dein Handy! Mein Akku ist platt.«
»Klar.«
Ich sprinte zu ihm und reiche ihm mein Handy. Schnell tippt er die Nummer des Notrufs ein und arrangiert einen Krankenwagen.
Diese Situation ist mir absolut nicht gewachsen. Ich stehe nur unsicher rum und weiß nicht was ich tun soll.»Kann...Kann ich was tun?«, stammle ich.
»Nein. Der Krankenwagen kommt gleich. Er darf nur das Bewusstsein nicht verlieren.«
Sanft spricht Leo mit dem ausgeknockten Fußball-Fan und beruhigt ihn. Immer wieder wollen ihm die Augen zufallen, doch Leo hört nicht auf ihn davon abzuhalten. Er wiederholt immer wieder, dass er bei ihm bleiben soll.
Als die Sirenen des Krankenwagens lauter werden, zerstreut sich der feige Mob und wir bleiben mit ein paar Schaulustigen vor dem Pub alleine zurück.
Leo übergibt den Fan an den Notarzt und berichtet in seinem Fachchinesisch was passiert ist. Dann kehrt er an meine Seite zurück und beobachtet die Szene weiter. Ich lasse meinen Blick an ihm hinuntergleiten und bleibe bei seinen Händen hängen. Er hat Blut an den Händen. Vermutlich von dem Verwundeten.»Da ist so viel Blut an deinen Händen«, stelle ich fest.
»Das ist nicht meins, mach dir keinen Kopf!«, erklärt er. Dann wischt er sich die Hände an seinem Hemd ab und grinst.
»Du kannst mir nicht verkaufen, dass du dies ohne Leidenschaft tust«, flüstere ich in sein Ohr. Sein Kopf schnellt zu mir herum und sein Blick ist wütend und kühl. Damit durfte ich noch nicht so viele Erfahrungen sammeln und möchte es erst gar nicht.
»Lucy, das ist meine Sache. Halt dich da raus! Lass uns gehen. Ist nicht mehr weit von hier.«, betont er kühl.
Wenn ich nur wüsste, was genau in seinem Kopf vorgeht, warum er das nicht mehr möchte. Dann könnte ich alles viel besser verstehen. Er öffnet sich mir noch immer nicht. Das frustriert mich und stimmt mich etwas traurig.
Als wir die Wohnung erreichen, ist die Stimmung noch immer von seiner Kühle überschattet.
»Leo...«, setze ich an und komme nicht weit. Da Leo mir das Wort abschneidet.
»Ich gehe duschen. Bin voller Blut.«, stellt er fest und verschwindet im Bad. Wieso versaut er den schönen Abend denn jetzt? Wut steigt in mir auf.
Auf dem Küchentisch hat Mr. Parker bereits alle Tüten unseres Einkaufbummels abgestellt. Ich schaue in die Tüten und freue mich über die neuen Stücke. Meine Gedanken werden gestört, als Leo's Handy auf dem Tisch klingelt. Ich schiele auf das Display „Brain O'Connor" steht dort. Nach ein paar Sekunden hört es auf. Dies hält jedoch nicht lange an, denn kaum habe ich mich weggedreht, klingelt es schon wieder. Derselbe Name.
Ich bin mir nicht sicher, wie Leo es finden würde, wenn ich einfach an sein Handy gehe, aber wenn er nochmal anruft, werde ich es tun. Dann muss es dringend sein.
Genau in diesem Moment beginnt das Handy zum dritten Mal zu klingeln. Ich ziehe es von dem Ladegerät ab und gehe ran.»Hi hier ist Lucy. Leo ist gerade verhindert«, sage ich in das Telefon. Herr O'Connor gibt mir ein paar Stichwörter und ohne groß nachzudenken, schieße ich mit dem Handy ins Badezimmer. Leo dreht sich in der Dusche verwundert zu mir um.
»Es... es... ist Brian O'Connor. Irgendwas stimm nicht.. Du musst«, stottere ich vor Aufregung. Blitzschnell steigt Leo aus der Dusche und reißt mir das Handy aus der Hand.
»Heine! Was ist los?«, blafft er in das Telefon.
Ich beobachte ihn beim Telefonieren. Er wird kreidebleich und sackt langsam an der Duschwand nach unten. Dann fällt ihm das Handy aus der Hand und seine Augen füllen sich mit Tränen.
Ich schieße zu ihm auf dem Boden und nehme das Handy, um zu überprüfen, ob noch jemand dran ist. Doch die Leitung ist tot.
»Leo! Sprich mit mir«, flüstere ich.
Meine Hand gleitet an seine Wange. Ich möchte ihn trösten. Ihm den ansehbaren Schmerz nehmen. Doch wieder öffnet er sich nicht. Im Gegenteil er greift nach meinem Handgelenk und nimmt es von seiner Wange. Ohne etwas zu sagen starrt er einfach nur ins leere Badezimmer. Seine Haare noch nass. Tropfen rinnen über seinen ganzen Körper.
Ich bin hilflos. Weiß nicht was los ist. Was ich machen soll...
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Faces - Enough for love?
RomanceLucy studiert PR und ist mit ihrem langweiligen Studentenleben mehr als zufrieden. Doch dieser Unfall und diese Begegnung stellen ihr ganzes Leben auf den Kopf. Sie ist eigentlich ein ganz braves Mädchen, aber plötzlich tut sie Dinge, die sie sonst...