Kapitel 61

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Auf mein Drängen hin, ist Hannah heute wieder in die Uni gefahren. Ich habe nämlich auf eine Bemutterung keine große Lust gehabt. Noch immer geknickt, lasse ich mich auf's Sofa fallen und hülle mich in die flauschige Decke. Der Fernseher versucht mich so gut wie es geht abzulenken. Dies ist jedoch nicht so einfach, da meine Gedanken immer zu meiner Diagnose wechseln. Ich brauche mehr Ablenkung!

Kurzerhand beschließe ich etwas spazieren zu gehen. Frische Luft wird mir sicher gut tun. Schnell schlüpfe ich in meinen Parka, nehme Hannah's Schlüssel vom Sideboard und verlasse das Haus.

Hannah wohnt ganz in meiner Nähe, sodass es nicht weit bis zum See ist – genau der ist nun mein Ziel. Ich sauge die frische Luft in meine Lungen. Das Wetter ist heute trocken, aber es wird definitiv kühler. Der Herbst steht praktisch schon in den Startlöchern und wartet nur darauf, dass er endlich loslegen kann. Sobald die Blätter sich färben und es kühler wird, ist dies definitiv meine Lieblingsjahreszeit. Hier gibt es ja keinen richtigen Sommer mehr und auch der Winter bringt statt Schneebergen nur Matsche. Der Herbst ist das Einzige, was jedes Jahr kommt und geht. Es vergeht kein Herbst ohne schönes, buntes Laub.

Mein Blick schweift über den See und bleibt an einer jungen Frau mit Kinderwagen hängen. Bitte nicht, stöhne ich innerlich. Ich will nicht ständig daran erinnert werden. Ich will davor fliehen.

Nur schwer kann ich meinen Blick von der glücklich aussehenden Frau abwenden. Traurig ziehe ich mein Handy aus meiner Jackentasche, in der Hoffnung, dass Leo sich endlich gemeldet hat. Ich weiß echt nicht was ich mit der Beerdigung machen soll, wenn er sich bis dahin nicht meldet. Soll ich einfach zu ihm fahren? Er wollte ja die Praxis erneuern und ist sicher am Renovieren. Aber nein, selbst wenn es das Richtige wäre, ich kann es nicht. Er hat mich einfach im Krankenhaus stehen lassen. Das kann ich nicht so einfach verzeihen. Schließlich kann ja auch er was dafür, dass ich jetzt in dem Dilemma stecke. Mist.

Wütend kicke ich einen größeren Stein auf dem Boden vor mir her. Aufeinmal vibriert mein Handy und ich halte die Luft an... Ist es Leo?

Hi Lucy,
wie geht es dir? Ich kann auch eher wieder nach Hause kommen!
Hannah

Enttäuscht lasse ich mein Handy wieder in die Tasche rutschen. Ich habe nicht mal Lust Hannah zu antworten. Da sich mein Magen schon wieder zu drehen beginnt, lasse ich mich auf einer Bank nieder und starre auf den See.

Ich weiß nicht, wie lange ich nun hier schon sitze, aber ich spüre, dass die Luft kühler wird. Die Dämmerung setzt schon ein und in kürze werden auch die Laternen angehen. Ich kann nicht mal genau erklären warum, aber ich bin so verletzt und traurig, dass ich keinen Ansporn habe aufzustehen. Ich will hier sitzen und vor mich hin leiden... Für immer.

Mein Handy surrt erneut. Ich weiß genau, dass es Hannah ist und habe kein Interesse daran ihre Nachricht überhaupt zu lesen. Am liebsten würde ich mir jetzt einen ordentlichen Schnaps gönnen, doch selbst das ist mir verwehrt. So vernünftig bin ich immerhin. Ich lasse nicht mein Baby für mein Gefühlschaos büßen... Mein Baby? Plötzlich kullern mir Tränen über die Wangen. Mein Hirn scheint endlich zu begreifen, dass es keinen Ausweg gibt. Ich könnte es niemals wieder loswerden. Das würde ich nicht übers Herz bringen. Es gibt keine andere Möglichkeit, als dies zu akzeptieren.

Die Laterne neben mir beginnt zu Surren. Das Licht hat sich soeben eingeschaltet. Noch immer sitze ich wie verwurzelt auf der Bank. Ich nehme neben mir ein Geräusch wahr und spüre, dass sich jemand mir nähert und auf der Bank niederlässt. Es ist Hannah.

»Lucy, du hast mir einen Schreck eingejagt. Warum antwortest du denn nicht?«, flüstert sie und starrt gemeinsam mit mir auf den in der Dämmerung versinkenden See.

»Ich brauchte einfach Zeit...«, murmle ich leise.

»Und jetzt?«

»Ich behalte es. Aber ich komme nicht damit klar. Ohne Leo. Hannah ich zerbreche innerlich.« Nun legt sie langsam ihre Hand auf meinen Rücken.

»Wir kriegen das schon hin. Weißt du ich habe ihn angerufen«, beichtet sie.

Mein Kopf schnellt zu ihr herum und mein Puls beginnt automatisch zu rasen.

»Du hast was? Spinnst du?«

»Ich habe ihn angerufen.«

»Was hat er gesagt?«

»Äh... nicht viel. Ich habe ihn angeschrien wie er sich so verhalten könne und dann habe ich einfach aufgelegt.«

»Toll, danke! Das macht es echt einfacher...Ich brauche deine Hilfe nicht!«, zische ich genervt und stehe seit einer gefühlten Ewigkeit von der Bank auf und trete den Heimweg an. Meinen Heimweg.

»Lucy, das war doch nicht so gemeint. Ich mische mich nicht mehr ein, ok?«, sagt sie und läuft hinter mir her.

»Ist mir egal. Lass mir einfach meine Zeit. Bis dann!«, brumme ich und gehe nach Hause. Hannah bleibt hinter mir stehen – ich kann hören, dass sie mir nicht folgt. Jedoch drehe ich mich auch nicht mehr um, um dies irgendwie zu bestätigen. Es ist mir nämlich auch vollkommen egal.


Das nächste Kapitel ist aus Leo's Sicht und schon fertig!

Vielleicht heute Abend mehr...

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt