Kapitel 65

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»Lucy, wie lange willst du das denn noch durchziehen?«, murmelt Hannah die mich mit traurigen Blick mustert. Meine Kehle ist noch immer ganz trocken und ich schlucke schwer.

»Wie willst du das denn alleine machen, mh? Du brauchst ihn!«, quält Hannah mich weiter.

Nein. Ich brauche niemanden. Mein Herzschlag beschleunigt sich bei dem Gedanken und das Gerät, an dem ich angeschlossen bin, fängt an in kürzeren Abständen zu piepen.

»Jetzt sag doch mal was« Stur blicke ich mich in dem Zimmer um. Ich habe keine Lust auf diese Konversation. Wenn ich mich darauf jetzt einlasse, knicke ich nur wieder ein. Ich habe geschworen stark zu sein. Für mich und mein Baby. Das lasse ich nicht noch einmal zu.

»Hannah, ich habe dazu nichts zu sagen. Würdest du bitte gehen? Ich bin müde«, paule ich sie ungewollt an. Aber ich will einfach, dass sie aufhört zu bohren. Sie soll einfach gehen...

Das Licht des Mondes scheint durch die Fenster. Ich muss so kaputt gewesen sein, dass ich direkt eingeschlafen bin, als Hannah das Zimmer verlassen hat. Die Uhr an der Wand zeigt kurz nach Mitternacht – leider bin ich jetzt hellwach. Meine Hand greift nach der Bedienung meines Bettes und ich schalte die Nachtbeleuchtung ein. Seit drei Tagen liege ich jetzt schon in der Uniklinik und langweile mich wie eine irre. Aber ich muss mich ausruhen und daran werde ich mich halten. Sanft streichle ich meinen Bauch und beobachte meine Hände dabei. »Von nun an passe ich immer auf dich auf, versprochen!«, flüstere ich ganz leise, sodass es niemand außer mir und meinem Baby hören kann.

So hellwach wie ich bin, ist an Schlaf gar nicht zu denken. Langsam schiebe ich die Bettdecke von meinen Beinen und richte mich auf. Das grelle Licht im Flur blendet mich zunächst und ich überlege kurz, doch wieder in meinem dunkleren Zimmer zu verschwinden.

»Frau Richter, alles in Ordnung? Brauchen Sie etwas?«, spricht mich eine Schwester auf dem Gang an.

»Danke, nein. Ich vertrete mir nur die Beine«

Zufrieden nickt sie und wendet sich wieder ihrer Arbeit zu. Ich knote meinen flauschigen Morgenmantel etwas enger und spaziere den Gang entlang. Als ich an einer Sitzniesche vorbei komme, entdecke ich jemanden dort schlafen. Derjenige liegt eingekringelt auf zwei nebeneinander befestigten Stühlen. Sieht mehr als unbequem aus. Ich bin schon fast an der schlafenden Gestalt vorbei, als mir im Augenwinkel seine Schuhe auffallen. Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat die Leo die gleichen. LEO! Schnell blicke ich genauer auf den schlafenden Mann und muss feststellen, dass es Leo ist. Verdammt. Wieso liegt er denn hier? Da ich nicht mit ihm sprechen will, entscheide ich kurzerhand wieder leiste umzudrehen und meinen Spaziergang zu beenden.

Die Tür meines Zimmers knatscht leise, als ich sie von innen schließe. Ich spüre, dass ich die Luft angehalten habe, bis ich wieder in Sicherheit war. Tief atme ich ein und langsam wieder aus. Ich muss mich beruhigen. Mich schonen. Kein Stress – war eine eindeutige Ansage vom Arzt.

Allein dieser kleine Ausflug hat mir gereicht und ich bin wieder total erschöpft. Ich ziehe meinen Bademantel aus und schlüpfe wieder unter die Decke.

»Frühstück, Frau Richter!«, begrüßt mich die Schwester früh am Morgen. Nach meinem nächtlichen Ausflug war das Einschlafen alles andere als einfach, weshalb ich jetzt entsprechend müde bin. Es ist erst sieben Uhr, aber im Krankenhaus ist schon Zeit für Frühstück. Erschöpft rolle ich mich aus meinem Bett, um mich im Badezimmer etwas frisch zu machen. Der Blick in den Spiegel haut mich fast um. Neben einigen Pickeln, wohl auch aufgrund der Hormonumstellung, zieren auch dunkle Augenränder mein Gesicht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, es sei jemand anders, den ich nicht kenne.

Warum ist bei mir immer alles so beschissen? Andere haben eine Bilderbuchschwangerschaft, einen Ehemann, eine Hochzeit oder schon ein Haus und ich? Ich habe weder Mann und habe auch fast noch mein Kind verloren. Wieso immer ich? Wieso kann das Schicksal es nicht einmal gut mit mir meinen.

Und nein, schmolle ich, Leo war kein gutes Schicksal. Unsere Liebe ist kompliziert, gemein und verletzend. Meine egoistische Art, hätte fast mein Baby umgebracht. Das werde ich nicht noch einmal zulassen, nehme ich mir entschlossen vor und spucke die restliche Zahnpasta ins Waschbecken.

»Schön, dass du schon wach bist, Lucy! Ich habe dir Zeitschriften mitgebracht«, ertönt eine bekannte Stimme in meinem Zimmer. Ich schaue um die Ecke und sehe Hannah auf dem Sessel am Fenster sitzen. Ihr Blick liegt in den Zeitschriften. Auf einmal werden ihre Augen größer und ihr Mund steht leicht offen.

»Morgen«, grummle ich. »Was gibt es da?«

»Äh... nix besonderes. Nur über die Teilnehmer des diesjährigen Dschungelcamps« Sofort kann ich erkennen, dass Hannah gerade nicht ganz ehrlich war. Mit unschuldigem Blick gehe ich auf sie zu und reiße ihr abrupt die Zeitschrift aus der Hand.

Hat der derzeit beliebteste Junggeselle der Stadt doch eine Freundin? Auf der Beerdigung seines Vaters wurde eine junge Dame abtransportiert. Es liegt nahe, dass es sich dabei um die Geliebte des jungen Professors handle. Augenzeugen bestätigen ein sehr inniges Verhältnis...

Sofort spüre ich einen bedrückenden Schmerz in der Herzgegend. Ist das der Mutterinstinkt? Niemals werde ich mich ihnen zum Fraß werfen. Sie werden nie erfahren, wer das Mädchen war.

»Lucy, alles klar?«, erkundigt sich Hannah mit besorgtem Blick. »Ich wollte nicht, dass du das siehst.«

»Schon okay. Sie werden mich niemals kennen lernen. Es spielt also keine Rolle was sie schreiben«

»Hast du schon... mit Leo gesprochen?«

»Nein. Und ich wäre dir auch verbunden, wenn du mich nicht ständig daran erinnern würdest«

Hannah rollt genervt die Augen, scheint aber für den Moment Ruhe zu geben. Vermutlich war ich mit dem gestrigen Rausschmiss deutlich genug.

»Wann kannst du gehen?«

»Eventuell heute Nachmittag. Das entscheidet der Arzt dann gegen Vormittag«

»Wenn ich dich abholen soll, sag Bescheid! Ich muss jetzt in die Uni. Wenigstens einer von uns soll Akademiker werden, was?«

Autsch. Akademikerin zu werden war bis vor kurzem auch noch mein größter Wunsch, den das Schicksal leider nun erstmal auf Eis gelegt hat.

Aber mein Schicksal hat mir und meinem Baby eine zweite Chance gegeben! Die werde ich nicht auf's Spiel setzen. Ich bin so dankbar und froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist.

Faces - Enough for love?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt