Kapitel 15 ~ Nachhilfestunde über Dämonen

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PoV Leon

Misstrauisch beäugte ich Ronald. Ich glaubte ihm das, was er sagte. Allerdings war ich mir sicher, dass mehr dahinter steckte.
"Und was hast du vor, wenn wir Jeremie irgendwann erwischen?" fragte ich, um zu sehen wie er reagiert. Er sah nicht mal von dem Laptop auf, auf dem er gerade herumtippte.
"Ich werde ihm alle Gliedmaßen abschneiden und dann langsam zu Tode foltern. Könntest du mir bitte den Zettel da vorne reichen?" Fassungslos gab ich ihm das gewünschte Stück Papier.
Ronald hatte das so locker und trocken über die Lippen gebracht, als würden wir über das Wetter reden.
"Findest du das nicht ein wenig brutal?" fragte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. Ronald blickte auf und tat so als würde er intensiv nachdenken, wobei er das Gesicht dementsprechend verzog. Dann aber schüttelte er den Kopf.
"Nein, ich denke nicht." Ich kniff ein Stück die Augen zusammen. An sich war es mir egal, was mit Jeremie passierte, ich konnte mich kaum an sein Gesicht erinnern und wenn Ronald ihn nicht umbrachte, würde Crispin es tun, aber der Grund von Ronald schien so banal. War er penibel mit seinem Gesicht?
"Was willst du wirklich, Ronald. Das du so bereitwillig hilfst, kann ich mir kaum vorstellen. Immerhin bist du ein Dämon." Ronald schrieb etwas auf den Zettel, steckte ihn ein und hob dann den Blick, um mich anzusehen.
"Du bist noch nicht vielen Dämonen begegnet, oder?" Zu meiner Schande musste ich mit dem Kopf schüttelt. Wie auch, ich durfte kaum alleine draußen rumlaufen, nach der Dämmerung.
"Ein Dämon muss nicht automatisch böse oder schlecht sein. Vergiss alles, was du aus dem Fernseh, Büchern oder meinetwegen auch Religionsunterricht zu wissen glaubst. Ja, die meisten Dämonen fühlen sich eher vom negativen angezogen und ich erkläre dir jetzt warum. Dämon regen bestimmte Emotionen an, wie du ja bestimmt weißt. Im Moment verfüge ich ja nicht über diese Fähigkeit.
Ebenso nähren sich Dämonen von Emotionen, es stärkt ihre Kräfte. Die Ehrlichsten und Tiefreichenden sind dabei am wichtigsten. Und es gibt keine Emotion die so leibhaftig und ehrlich ist wie Trauer oder Schmerz. Sie frisst sich bis in dein Herz und deinen Verstand, sie können dich sogar umbringen. Deswegen lieben Dämonen es dieses Gefühl bei Anderen zu spüren. Sie müssen das Leid nicht mal selbst verursachen, anwesend sein reicht schon. Bei mir ist das noch mal besonders ausgeprägt. Ich weiß nicht, wie viel du über mich weißt, aber ich war nicht gewollt. Mein Vater hat meine Mutter vergewaltigt, ich wurde also schon mit Leid, Trauer, Hass und Schmerz gezeugt. Das wirkt sich mehr auf meine Kräfte aus, als du denkst." Einen Moment war ich sprachlos. So lange hatte ich Ronald noch nie sprechen gehört.
Wenn er durch diese Emotionen entstanden war, konnte man ihm überhaupt einen Vorwurf machen?
"Ich versteh dich." Überrascht sah Ron auf und musterte mich stumm. Er sah mich an, als hätte er diese Worte noch nie gehört.
"Aber müssen wir Jeremie deswegen direkt töten?" kam mir ein neuer Gedanke.
"Vielleicht können wir ihm ja helfen." Ron verzog das Gesicht.
"Er ist wahnsinnig, Leon. Da kann man nichts mehr retten." Ich stütze eine Hand auf meiner Hüfte.
"Menschen die wahnsinnig werden, kann man auch helfen. In manchen Fällen." Ron lachte bitter auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
"Du hast keine Ahnung, welche Ausmaße das Ganze annehmen kann, oder?" hakte Ron nach und ich zuckte mit den Schultern.
"Zieh deine Jacke an." forderte Ron mich auf und erhob sich von seinem Platz. Verwirrt folgte ich ihn bis in einen Durchgang. Man hörte den Wind pfeifen und es zog, also müsste es hier irgendwo raus gehen.
"Du unterschätzt das Problem. Ich werde dir jemanden vorstellen, um deine Sichtweise zu korrigieren."
Die Frage war, ob ich das wollte. Dennoch wehrte ich mich nicht, als Ron mich raus führte und wir zusammen in sein Auto stiegen. Im Gegenteil. Ich freute mich sogar.
Jetzt könnte ich endlich auch mal beweisen, dass ich nicht so hilfebedürftig war, wie Erik dachte.
Jetzt würde ich ihn retten.
Die Frage war nur, welche Rolle Ronald spielte.

Der Bruder des SehersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt