PoV Leon
Ich wachte mitten in der Nacht auf. Warum wusste ich im ersten Moment nicht, aber dann merkte ich, dass ich hellwach war. Nach nur vier Stunden war ich komplett ausgeschlafen. Frustiert drehte ich mich auf den Rücken und erst jetzt dachte ich daran, dass ich nicht alleine im Bett lag.
Ronald schlief tief und fest. Das Mondlicht fiel schwach ins Zimmer und ich erkannte, wie entspannt Ron gerade wirkte. Sonst war er immer, angespannt, genervt oder gleichgültig. Jetzt wirkte er beinahe friedlich.
Unbewusst hob ich eine Hand und strich über seine Narbe. Die Haut fühlte sich an der Stelle an wie trockenes Leder, das musste doch unangenehm sein, oder?
Erst als Ron sich ein wenig bewegte, bemerkte ich, was ich hier tat und riss meine Hand zurück.
Da ich sowieso nicht mehr müde war, stand ich auf und verließ leise das Schlafzimmer, um in der Küche etwas zu trinken.
Als ich das Licht abschaltete erschrak ich und Leonie lachte leise.
"Schläfst du eigentlich auch mal?" fragte ich nach und runzelte die Stirn. Sie war ja schlimmer als ich.
"Nein. Eigentlich nicht. Nur wenn mir langweilig ist." Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir durch die Haare. Jetzt musste ich einfach fragen.
"Was bist du, verdammt?" Leonie lächelte und trank einen Schluck Saft.
"Was wäre die Welt ohne Geheimnisse." Mit den Zähnen knirschend ließ ich mich auf einem der Stühle nieder und nahm mir Leonies Glas, welches ich leer trank.
"Du tust ihm gut, weißt du? So locker war er schon lange nicht mehr. Deine Ausstrahlung beruhigt ihn." Fassungslos wandte ich mich Leonie zu.
"Das nennst du locker? Wie sieht es denn bitte aus, wenn er angespannt ist?" Leonie winkte ab.
"Das würdest du an den Leichen im Keller bemerken." Ich lachte erst leise, aber als ich Leonies Blick sah verstummte ich.
Sie meinte das vollkommen erst.
"Wie lange kennst du Ron schon?" Leonie lehnte sich zurück und dachte kurz nach.
"Müssten jetzt um die vierhundertdreißig Jahre sein. Er hat mich damals vor einem Wolfsrudel beschützt und ich schuldete ihm ein Leben. Nur versuch mal bei einem Unsterblichen eine Lebensschuld zu begleichen. Aber nach ein paar Monaten wollte ich auch gar nicht mehr weg. Wir hatten uns angefreundet. Ja, ich würde Ronald als einen guten Freund bezeichnen, auch wenn er das möglicherweise anders sieht." Ich dachte nicht, dass Leonie wirklich so positiv über Ron dachte. Andererseits kannten sie sich schon echt lange.
"Ronald wird sicher bald aufstehen. Er schläft nie viel. Aber ich warne dich vor, verschlafen ist Ronald mindestens so reizbar, wie attraktiv."
"Na da bin ich ja beruhigt." Attraktiv und Reizbar betrat gerade den Raum und nickte Leonie müde zu. Dann ließ er sich neben mich auf einen Stuhl fallen.
"Wenn ich nach dem Frühstück nichts von den Leuten an der Villa gehört habe, würde ich dich bitten einen Blick in die Zukunft zu werfen. Vielleicht ist der Dolch nicht dort. Und ohne den Dolch können wir alles weitere vergessen." Ich stimmte zu und beobachtete Leonie, wie sie lautlos Frühstück machte, in Form von gekochten Eiern und Bacon. Sie tat es ohne aufgefordert zu werden, aber wahrscheinlich war sie es einfach gewöhnt.
"Das hättest du auch früher sagen können. Dann hätten wir Zeit gespart." murrte ich leise und sag, wie Ron die Augen verdrehte.
"Wir müssten sowieso bis Vollmond warten. Und der ist erst in einer Woche. Vorher geht es nicht. Magie ist da sehr eigen." Ich schüttelte nur leicht den Kopf, es hatte keinen Sinn mit Ronald zu diskutieren. Es war ja nur das Leben unserer Brüder von dem wir hier sprachen.
Und vielleicht von einigen mehr, wenn Jeremie seinen Drachen nicht an der kurzen Leine hielt.
"Ich hab keinen Hunger, ich mache es jetzt." Ron schien etwas sagen zu wollen, aber ich schloss schon die Augen.
Es dauerte etwas länger als gewöhnlich. Vielleicht weil ich ein verzaubertes Objekt suchte.
Der Waldboden war feucht, als hätte es gerade geregnet und der Schuh versank leicht im Boden. Die Bäume standen dicht um mich herum und warfen bedrohlich wirkende Schatten über die Lichtung. In der Ferne hörte man Wölfe heulen und in meiner Hand spiegelte der Dolch das einfallende Sonnenlicht.
Ich blinzelte ein paar Mal. Die Verbindung war ziemlich schnell wieder gebrochen, der Dolch, oder eher seine Magie, wollte nicht so gefunden werden.
"Und?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Der Dolch will nicht gefunden werden. Aber ich konnte einen Wald sehen. Und Wölfe hören. Also ist es nicht hier. Hier gibt es keine Wölfe." Ronald knirschte mit den Zähnen.
"Versuch dich an irgendwas zu erinnern. Es muss etwas geben, wir können schlecht jeden Wald umgraben." Ich rief mir nochmal jedes Bild ins Gedächtnis, aber ich fand nichts auffälliges. Es war kein besonderer Wald.
"Ich könnte mir den Wald angucken. Vielleicht erkenne ich ihn an etwas, ich habe immerhin schon mehr von der Welt gesehen als du?" Ich runzelte die Stirn, lehnte mich ein Stück vor und stützte mich auf die Ellbogen.
"Wie soll das gehen? Ich kann sowas ja nicht zeichnen oder so." Ron winkte ab und erst jetzt bemerkte ich, dass Leonie gegangen war.
"Musst du auch nicht. Ich habe zur Zeit keine Kräfte, aber ich bin immernoch ein Dämon. Anhand von Blut kann ich die Erinnerungen der Person sehen." Ich riss ein Stück die Augen auf und richtete mich wieder auf.
Wieso lief alles in der Welt der Übernatürlichen mit Blut ab? Wirklich alles, es war unglaublich.
"Also willst du mir etwas Blut abzapfen?" Als Ron den Kopf schüttelte ahnte ich bereits, was er als nächstes sagen würde.
"Es muss eine direkte Verbindung sein."
Davon hatte ich schon gehört. Manche Dämonen tranken regelmäßig Blut, obwohl sie ed im Gegensatz zu Vampiren nicht mussten. Unschöner Gedanke.
Ron grinste mich an und wusste offenbar ganz genau, wie unwohl ich mich fühlte.
Er wollte mein Blut trinken. Mich beißen. Und in meinem Kopf meine Erinnerungen durchsuchen. Das wollte ich ganz und gar nicht!
Aber ich musste es tun. Für Erik und Crispin.
Frustiert seufzte ich und rieb mir kurz über die Stirn.
"Na schön." murrte ich leise und fast schon sanft drückte Ron meinen Kopf zur Seite.
Als ich Rons Atem an meiner Haut spürte, beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich hatte Angst, ich war noch nie gebissen wurden.
Dann spürte ich, wie seine Zähne mühelos meine Haut durchbohrten.
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Der Bruder des Sehers
FantasyTEIL 3 Leon ist erwachsen und wie sein älterer Bruder Erik, hat auch er übermenschliche Fähigkeiten. Schon als kleines Kind konnte Leon die Zukunft sehen, als Erwachsener sind seinen Fähigkeiten kaum noch Grenzen gesetzt, selbst die alte Wahrsage...