Kapitel 30 ~ Schlechtes Gewissen

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PoV Leon

Es tat weh. Und Ron wusste es ganz genau, weil er es mit Absicht machte. Erik hatte es mir erklärt. Gefährten verspürten Lust, diese blieb, Gott sei dank, aus. Das übernatürliche Wesen konnte das 'Opfer' lähmen, sodass es nichts spürte von dem Biss, aber Ronald war das scheinbar egal.
Allerdings ging es hier nicht darum, mir Schmerzen zuzufügen, sondern darum Macht zu demonstrieren. Anders konnte ich es mir nicht vorstellen.
"Du Arschloch." brachte ich leise zischend hervor und im selben Moment löste sich Ron von mir.
"Entschuldige. Ich mache das nicht so oft." Ich rutschte ein Stück von ihm weg und kniff ein Stück die Augen zusammen.
"Als wüsstest du nicht, wie das richtig geht." knurrte ich ihn an und Ronald warf der Verletzung an meinem Hals einen raschen Blick zu.
"Natürlich weiß ich, wie das geht." Ich machte große Augen und sah Ronald an. Wieso war er mal so, mal so?
"Wieso tust du mir dann weh?" Leider musste ich feststellen, dass ich es mit leiser, fast schon weinerlicher Stimme fragte. Ron schien es jedenfalls komplett aus der Bahn zu werfen.
"Ich weiß es nicht."
Ich biss mir kurz auf die Unterlippe und wandte den Blick ab.
"Weißt du wenigstens, wo wir hin müssen?" Vorsichtig berührte ich die Wunde. Sie war schon fast verheilt, aber es schmerzte immer noch ein wenig.
"Ja. Das ist ist der Nähe von Easons altem Tempel." Ich nickte und stand auf. Gerade wollte ich nicht mehr mit Ronald reden.
"Tut mir leid." hörte ich Ron noch leise sagen, ignorierte es aber und verließ die Küche.

PoV Ronald

Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich.
Es tat mir leid, aber wir waren uns einfach zu nahe gekommen und ich wusste, dass ihn das verstören würde. Richtig war es nicht. Aber nötig.
"Warum hast du das getan?" ertönte Leonies kalte Stimme und genervt sah ich sie an. Ihr Blick war wütend.
"Kümmer dich um deinen Scheiß." knurrte ich sie an und damit war die Sache für mich erledigt. Aber Leonie knurrte zurück.
"Sonst was?" Einen Moment lang war ich so fassunglos, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
"Krieg das wieder hin, Ronald!" fauchte Leonie beim an mir vorbeigehen.
Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Während ich nach meinem Handy suchte, ärgerte ich mich über mich selbst. Über die Situation. Über meine Gefühle.
Könnten Dämonen ohne Herz gut weiter leben? Im Moment wollte ich es mir nämlich aus der Brust reißen.
Als ich mein Handy endlich gefunden hatte, wählte ich eine der wenigen Nummern, die ich eingespeichert hatte und wartete.
Als ich mich gegen den Türrahmen lehnte, sah ich, wie Leon die Sachen aus dem Gästezimmer räumte.
Heute würde er also nicht mehr bei mir schlafen. Widerwillig verzog ich das Gesicht. Leons Gesellschaft hatte mir eigentlich ganz gut getan. Aber vermutlich war das sinnvoller. Leon wollte sowieso das Zimmer heute frei räumen.
"Ronald." ertönte die Stimme am anderen Ende der Leitung und ich ging wieder in die Küche zurück.
"Du schuldest mir einen Gefallen, Alexander. Ich will, dass du herkommst und ihn erfüllst." Ich hörte das genervte Seufzten von dem Franzosen, bevor er einen Fluch aufstieß.
"Ich soll also alles stehen und liegen, um von Frankreich nach Amerika zu kommen, um einen Gefallen einzulösen, den ich dir seit vierhundert Jahren schulde und ich weiß dabei nicht mal, was du von mir willst?" Alexander klang, als hätte er die Zähne zusammen gebissen und dank seinem Akzent konnte man ihn nur schwer verstehen. Aber es ging.
Auf seinen kleinen Ausraster antwortete ich nur mit "Ja." Kurz war es still am Telefon.
"Na schön. In zwei Tagen bin ich da." Ohne ein weiteres Wort legte er auf und ich ging entschlossen ins Gästezimmer.
Als Leon mich sah, presste er die Lippen zusammen und wollte an mir vorbei rauschen, aber ich hielt ihn am Arm fest und zwang ihn mich anzusehen.
"Es tut mir leid, okay? Ich denke nur, es wäre besser, wenn wir uns nicht zu nahe kommen würden." Leon sah mich traurig an und wenn ich  mich nicht irrte, waren sogar Tränen in seinen Augen.
"Ich war immer nur in dieser scheiß Villa. Freunde habe ich also nicht. Die Personen, die meine Familie sind, sind entführt wurden und keiner weiß, wie es ihnen geht oder ob Jeremie Erik einfach umgebracht hat. Meine Freundin hat mich verraten und wollte mich töten. Im Moment habe ich so gut wie niemanden. Ich dachte, ich könnte mich auf dich verlassen. Das wir vielleicht sogar Freunde werden können, denn genau das bräuchte ich jetzt. Aber scheinbar habe mich getäuscht." Leon riss sich los und ging an mir vorbei.
Eigentlich hatte ich mit Leon reden wollen, damit mein schlechtes Gewissen verschwindet. Stattdessen war es jetzt noch schlimmer.

Der Bruder des SehersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt