Der Bruder des Sehers

Kapitel 62 ~ Kindergartentheater?

PoV Erik

"Als du von dem Zauber getroffen wurdest, sah es erst so aus, als hätte es keine Auswirkungen gehabt. Aber vielleicht ist das passiert. Möglicherweise hat sich ein Stück deiner Seele abgespalten und sich an den einzigen Körper geheftet, den es finden konnte." Kurz musterte Crispin die Person vor mir.
"Evans Körper." Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Die Person vor mir sah aus wie Evan, hörte sich an wie Evan.
Aber konnte er es wirklich sein?
Wie sollte das möglich sein?
Crispin schien die Frage in meinem Gesicht zu erkennen.
"Erik, niemand kennt oder versteht den Aufbau und das Verhalten der Seele. Selbst wir können es uns nicht erklären, es ist viel zu komplex. Die Seele nehmen viele Übernatürliche als Indiz dafür, dass ein Gott exestieren muss, weil Nichts auf der Welt so etwas erschaffen kann. Es ist nicht unmöglich. Auch wenn ich sowas noch nie erlebt habe." Zwar klangen Crispins Worte irgendwie einleuchtend, aber etwas in mir weigerte sich das zu glauben, was ich gerade sah.
"Natürlich können wir das Ganze auch überprüfen. Wir sehen uns deine Seele an und schauen, ob ein Stück fehlt. Ganz einfach. Dafür müssen wir nur deine Seele materialisieren."
Wieder schüttelte ich leicht den Kopf, bei Crispin klang das immer alles so leicht.
Aber ich wollte ihm trotzdem eine Chance geben.
Wenn das hier wirklich Evan war, dann könnten wir mit ihm Jeremie in der Hand haben. Er wünschte sich nichts anderes, als seinen Gefährten.
Ich hatte nie zu Jeremie gehört. Sondern Evan.
Als seuftzte ich resigniert und wandte mich Crispin zu.
"Dann tue es. Schau dir meine Seele an." Crispin fuhr sich mit der Hand durch den Nacken.
"Ich kann keine Seelen materialisieren. Das ist eine sehr seltene Fähigkeit. Nur die wenigstens haben sie und noch weniger können sie kontrollieren und bewusst einsetzten."
Frustiert ließ ich den Kopf in den Nacken fallen.
"Dann verschieben wir das, wir haben keine Zeit eine Person mit solchen Fähigkeiten zu suchen." Ich wollte mich gerade umdrehen und gehen, als Crispin sich räusperte. Fragend sah ich ihn an und hob eine Augenbraue.
"Ronald kann es."
Wenn wir Ronald jetzt danach fragen würden, würde er mir anstatt meiner Seele das Herz aus der Brust reißen. Was ich auch verstehen konnte.
Aber ich war davon überzeugt, dass mein Bruder es schaffen würde. Er war stark.
"Lassen wir Ronald erstmal in Ruhe. Das hat noch Zeit." Crispin nickte und sah dann zu Evan.
"Was sollen wir mit ihm machen?" Misstrauisch unterzog ich Evan einer erneuten Musterung.
"Das ist total verrückt. Wenn jetzt auch noch die Toten wieder aufstehen, brauch ich Urlaub."

PoV Ronald

In zwei Stunden waren die zwölf Stunden vorbei und bisher hatte Leon keine Reaktion gezeigt. Mit jeder Sekunde die verstrich, wurde mein Herz schwerer.
Genau aus diesem Grund hatte ich keinen Gefährten haben wollen. Ich wusste, dass das irgendwann passieren würde.
Nur hatte ich nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde.
"Ron?" ertönte Leonies Stimme und genervt sah ich sie an.
"Das solltest du dir ansehen." Langsam stand ich auf und folgte Leonie widerstandslos. Meine Knochen waren schwer wie Blei und jeder Schritt war furchtbar anstregend.
In der Küche angekommen, sah Leonie mich ernst an und ich wusste, mir würde nicht gefallen, was jetzt kommen würde.
"Eigentlich wollte ich dich nicht damit belasten. Vorallem nicht jetzt. Aber es ist dringend." Leonie nahm einen kleinen Stoffbeutel vom Tisch und reichte ihn mir. Mit gerunzelter Stirn öffnete ich den Beutel und sah hinein.
Fast augenblicklich wurde mir schlecht.
Nicht jetzt. Nicht in diesem Jahr.
Am besten nicht in diesem Leben.
"Du denkst das selbe wie ich." stellte Leonie entsetzt fest.
"Wenn das das ist was ich denke, dann ist das, was uns bisher alles passiert ist Kindergartentheater."