Kapitel 41 ~ Verluste

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PoV Leon

Ich hatte ein komisches Gefühl im Magen. Ein Gefühl, das ich nicht beschreiben konnte, allerings kannte ich es. Irgendwas würde passieren. Oder war schon passiert. Ich stand ein wenig abseits der Trümmern, Ronald hatte mir verboten ihnen zu nahe zu kommen, und beobachtete wie er und Alex unter den Steinen nach dem Dolch suchten.
Immer wieder streifte mein Blick den Himmel aus Angst der Drache würde zurückkommen. Aber das geschah nicht. Ein Glück.
"Endlich!" ertönte Alex angestrengte Stimme und er zog eine demolierte Kiste aus dem Trümmern, aus der der Dolch schon halb rausguckte. Der Einsturz musste die Kiste beschädigt haben, aber der Dolch war noch an einem Stück. Erleichtert ließ ich mich gegen den Baum sinken und gerade wollten die beiden auf mich zukommen, als Ron stehen blieb und sein Handy aus der Tasche zog.
Ohne zu zögern überreichte er Alex den Dolch. Ronald drehte mir beim telefonieren den Rücken zu, aber plötzlich nahm das seltsame Gefühl in meinem Bauch zu.
Ronald Gesichtsausdruck, als er sich wieder umdrehte bestätigte mir das, was ich schon vermutete. Etwas war passiert.

PoV Leonie

Ronald sagte nichts und einen kurzen Moment war ich beunruhigt. Was dachte er?
"Ronald?" Meine Stimme zitterte. Ich hatte schon viele Leichen in meinem Leben gesehen. Verbrannte, verstümmelte, ausgeweidete.
Aber einen Freund von einem Dolch durchbohrt vorzufinden brannte sich in den Kopf. Es schnürte mir sie Luft ab. Vorallem weil ich immernoch Niclas herzzerreißendes weinen und schluchzten in den Ohren hatte.
Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, was er gerade fühlte. Und wollte es auch nicht.

PoV Ronald

"Ich sage es zwar oft, aber nicht mal ich würde es wagen einem meiner Brüder etwas anzutun. Jenna war etwas anderes, bevor du etwas sagst." Mein Blick wanderte zu Leon und seltsamerweise spürte ich einen Stich im Herz. Ich wusste, wie sehr er Jerom gemocht hatte. Und jetzt sollte ich ihm sagen, dass er tot war?
Jeroms Tod an sich bedeutete mir nichts. Lediglich, das ich wusste, dass ich Leons Herz brechen würde, bereitete mir ein ungutes Gefühl.
"Kannst du es Leon sagen?" fragte ich und wollte dem ganzen aus dem Weg gehen, aber Leonie schnaufte.
"Er ist dein Gefährte. Kümmere dich um ihn. Ich sorge dafür, dass Niclas nichts Dummes tut, bis ihr wieder da seid. Wir müssen das Ganze beschleunigen, Ron. Jerom und Niclas hatten kurz vorher herausgefunden, wo sich die Anderen befinden könnten. Sobald ihr zurück seid fangen wir an zu planen." Mit diesen Worten legte Leonie auf und ich verzog in das Gesicht.
In manchen Dingen war Leonie dann doch wie ich.
Als ich zu Leon und Alex ging konnte ich in Leons Augen direkt sehen, dass er es schon ahnte. Er ahnte, dass etwas passiert war. Er wusste nur noch nicht was und in welchem Ausmaße.
"Was ist passiert?" fragte er und jetzt schon klang seine Stimme gebrechlich.
Er würde zusammenbrechen.
Alex zog die Mundwinkel nach unten und wandte den Blick ab. Er hatte es natürlich gehört. Als Leon das sah, riss er er ein Stück die Augen auf.
"Bitte..." Jetzt sah Leon wieder mich an und er hatte Tränen in den Augen.
"Bitte sag, dass niemand tot ist. Bitte!" flehte Leon und stand mit zittrigen Beinen auf. Sein Gesichtsausdruck war so verzweifelt, dass ich kein Wort herausbrachte. Und scheinbar reichte das als Antwort. Ich konnte deutlich sehen, wie etwas in Leons Blick erlosch.
"Wer?" fragte er leise und kämpfte offensichtlich mit den Tränen.
Es kostete mich alle Kraft und ich schaffte es auch nur dieses eine Wort, diesen Namen, hervorzubringen.
"Jerom." Leons Blick änderte sich nicht. Seine Haltung blieb gleich. Er sagte nichts.
Kurz befürchtete ich, er hätte einen Schock.
Aber genau in diesem Moment fiel Leon auf die Knie und stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen einem verzweifelten Schrei und einen abgrundtiefen schmerzenslaut lag.
Es war absolut furchtbar und ich bekam eine unangenehme Gänsehaut.
Ich kniete mich vor Leon auf den Boden und zog ihn an mich.
Ich spürte seine Trauer und seinen Schmerz. Selbst für mich war es fast unaushaltbar, wie schlimm musste es für ihn sein?
Leons Tränen durchnässten mein Oberteil, während er immer wieder kleine Schmerzenslaute von sich gab, als hätte er tatsächlich körperliche Schmerzen. Seine Finger gruben sich in meinen Rücken.
Mit einer Hand strich ich durch sein Haar.
Wenn ich es könnte, hätte ich ihm seinen Schmerz genommen. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte ihm nur helfen.

Das tat beim Schreiben weh ._.

Der Bruder des SehersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt