Kapitel 35 ~ Herzschmerz

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PoV Ronald

"Das ist unfair! Ich würde dich nie hintergehen, Ronald, das weißt du!" Leonie klang regelrecht verzweifelt und folgte mir auf Schritt und tritt, während ich einige Dinge in meine Tasche packte. Leon tat das selbe, obwohl er nicht viel besaß, was er mitnehmen könnte, während Alex weiterhin dafür sorgte, den Kaffeevorrat drastisch zu verringern.
"Ronald, ignoriere mich nicht!" Leonie keifte schon fast und klang wie ein hysterisches Kleinkind.
"Hör zu, Leonie." fing ich an und legte ein paar Klamotten in die Tasche.
"Ich vertraue dir. Und deswegen will ich, dass du hier bleibst, den Laden und vorallem Mia im Auge behältst. Verstanden?" Ich legte meine Hände um Leonies Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
"Und wenn dir was passiert?" Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Leonie hatte Tränen in den Augen.
"Dann bist du eine verdammt reiche Frau. Ich vermache dir den Laden und die Hälfte meines Vermögens." Leonie verzog das Gesicht und befreite sich aus meinem Griff.
"Dein Geld interessiert mich nicht. Ich will, dass du gesund nach Hause kommst. Und wer bekommt die andere Hälfte? Soweit ich weiß, hast du nur mich." Ich nickte und schmiss mir die Tasche über die Schulter.
"Das stimmt. Die andere Hälfte geht an Leon." Überrascht sah Leonie mich an, sagte aber nichts dazu. Dann schüttelte sie den Kopf und umarmte mich.
Leonie und ich gingen uns oft an die Kehle, meistens stritten wir uns, wenn wir zu lange alleine waren, aber das lag daran, dass wir uns zu ähnlich waren. Und ich mochte sie trotzdem sehr gerne. Wie sollte ich auch nicht?
"Ich werde dich vermissen, père." So hatte sie mich nicht mehr genannt, seit wir Frankreich vor dreihundert Jahren verlassen hatten und am liebsten würde ich Leonie mitnehmen, aber ich brauchte sie hier.
"Wir werden uns beeilen." Ich drückte Leonie ein Stück nach hinten und verließ meinen Raum. Als ich die Tür hinter mir schloss, lief ich fast in Leon rein und zeitgleich bekam ich eine Gänsehaut. Von dieser Reaktion meines Körpers genervt, verzog ich das Gesicht und machte einen Schritt nach hinten.
"Tut mir leid. Ich hab dich nicht gesehen." entschuldigte sich Leon und sah mich mit großen Augen an. Waren seine Augen schon immer so schön gewesen, oder lag das an der Bindung? Vermutlich letzteres.
"Hast du alles eingepackt? Dich verabschiedet?" Leon nickte und ich spürte ein wenig von seiner Trauer. Er wollte nicht ohne Jerom und Niclas gehen, aber die beiden würden Leonie dabei helfen, die Ratte zu finden, die Leon vergiftet hatte.
"Ja. Ja ich hab alles." Ich wollte an Leon vorbei gehen, aber er stellte sich mir in den Weg und sah mir fest in die Augen.
"Ich finde, wir sollten über diese Bindung reden." Es gelang mir gerade noch so, nicht die Augen zu verdrehen. Jetzt wollte er auch noch reden. Als wären wir in einer Beziehung.
"Hör zu, diese Verbindung wird nicht von Dauer sein. Was glaubst du, warum Jeremie uns nicht angreift? Er will den Dolch auch haben, er braucht ihn. Dieser Dolch wird schon seit Jahrtausenden als Objekt für Rituale und Zauberei aller Art benutzt. Unter anderem auch dafür, die Bindung zwischen zwei Seelen zu zerstören. Wir werden verhindern, dass Jeremie das bei Erik und Crispin tut, dann brechen wir die Versieglung und zum Schluss können wir unsere Seelen für immer trennen. Bis in alle Ewigkeit. Das ist der Plan, verstanden?" Leon sah mich an, als hätte ich vor seinen Augen seinen Bruder getötet und ich spürte, wie Leons Gefühle Achterbahn fuhren. Sie waren so wechselhaft und hektisch, dass ich sie mit meiner geringen Erfahrung im Bereich Emotionen nicht bestimmen konnte.
"Du willst dich wieder von mir trennen? Für jetzt und alle Leben, die noch folgen werden?" Leons Stimme zitterte, ob vor Wut oder Trauer konnte ich nicht sagen.
Es widerstrebt mir das nächste Wort auszusprechen, als würde man mich zwingen Säure zu trinken. Aber ich tat es trotzdem.
"Ja."
Ich spürte, wie Leons Herz brach.
Und meines gleich mit.

Der Bruder des SehersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt