22~ Der beste Freunde Tag

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Traurig sitze ich auf einer Bank und sehe den Kindern zu, die auf dem Spielplatz spielen. Ich fühle mich einsam – so, als wäre ich allein, für immer. Plötzlich höre ich eine kleine Stimme neben mir. „Hallo.“ Erschrocken blicke ich auf. Vor mir steht ein kleiner Junge mit blondem, zotteligem Haar und großen, neugierigen Augen. „Warum weinst du?“ fragt er sanft. „Weil ich allein bin,“ antworte ich leise. „Wo sind denn deine Mama und dein Papa? Hast du sie verloren?“ Schnell schüttele ich den Kopf. „Ich weiß es nicht... ich habe mich verlaufen.“ Er sieht mich mitfühlend an, seine klaren blauen Augen strahlen eine fast schon erwachsene Ernsthaftigkeit aus. „Wie heißt du?“ „Callie.“ Nervös zupft er an seinem Shirt herum. „Ich bin Johnny. Wollen wir Freunde sein?“ Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, und ich nicke. „Kleiner Finger Schwur darauf?“ Ich strecke ihm meinen kleinen Finger entgegen, und er hakt seinen darin ein. „Gut, dann sind wir Freunde für immer! Komm, wir gehen Drachen spielen!“ Hand in Hand laufen wir los, und für einen Moment vergesse ich meine Einsamkeit.

Heute ist genau zehn Jahre her, dass ich Johnny kennengelernt habe. Seitdem feiern wir diesen Tag jedes Jahr zusammen – es ist unser ganz besonderer Tag. Pizza essen, durch die Stadt bummeln, Eis genießen, und abends einen Film schauen – ein Tag, der für uns beide unersetzlich ist. Und dieses Jahr sollte keine Ausnahme sein, auch wenn wir seit einer Woche nicht miteinander gesprochen haben. Das ist neu für uns, aber ich bin zuversichtlich, dass wir heute alles wieder ins Lot bringen können.

Das Klingeln der letzten Schulstunde ertönt, und ich eile zum Ausgang, wo ich immer auf Johnny warte. Er müsste bald hier sein; freitags hat er nur fünf Stunden und holt mich danach ab. Doch die Uhr zeigt halb zwei, und von ihm fehlt jede Spur. Ich schreibe ihm eine Nachricht, aber keine Antwort.

Zwei Uhr – nach mehreren unbeantworteten Anrufen und Nachrichten beschließe ich, allein in die Stadt zu fahren. Wie konnte er unseren Tag vergessen? Ich hatte es ihm schließlich immer versprochen – und er mir ebenso. Enttäuscht gehe ich weiter, besorge eine Suppe für Mason und überlege, vielleicht ein wenig zu shoppen, um mich abzulenken.

Ich sitze allein an einem kleinen Tisch am Fenster des Cafés „Fresh“ und betrachte die Menschen, die draußen vorbeigehen. Es ist ein gemütlicher, ruhiger Ort, warm und rustikal eingerichtet. Die Möbel bestehen aus dunklem Holz, teilweise alt und abgenutzt, was ihnen einen ganz eigenen Charme verleiht. An den Wänden hängen schwarz-weiße Fotografien von alten Straßenszenen, und ein großes Regal voller alter Bücher, Tassen und kleiner Pflanzen verleiht dem Raum eine heimelige Atmosphäre. Über mir baumeln kleine Lampen, deren sanftes, warmes Licht das Café in ein beruhigendes Schummerlicht taucht. Es riecht nach frisch gemahlenem Kaffee und leicht nach Zimt, als hätte jemand gerade erst ein Stück Kuchen aus dem Ofen geholt.

Ich nippe an meinem Kaffee und lasse den Blick durch das große Fenster schweifen. Draußen laufen die Menschen vorbei, jeder in seinem eigenen Tempo. Einige hetzen die Straße entlang, die Blicke auf ihre Handys gerichtet, als würde jede Sekunde ihres Tages genau durchgeplant sein. Andere schlendern entspannt mit einer Tüte in der Hand, unterhalten sich mit Freunden oder tragen Einkaufstaschen. Ein älterer Herr bleibt stehen und setzt seine Lesebrille auf, um ein Plakat an der Hauswand genauer zu betrachten. Zwei junge Mütter schieben ihre Kinderwagen nebeneinander und reden angeregt, während ihre Babys friedlich schlafen.

Dann fällt mein Blick auf eine Gruppe Jugendlicher, die gerade über den Gehweg lacht und sich gegenseitig auf die Schultern klopft. Sie wirken so unbeschwert, als würde die Zeit für sie an diesem Nachmittag einfach stillstehen. Und dann sehe ich ihn – Johnny, mitten in der Gruppe. Neben ihm ein Mädchen, das er fest im Arm hält. Sein Lachen klingt bis hierher, fast fremd.

Ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt, und doch zwinge ich mich, ruhig zu bleiben. Ich sollte ihn eigentlich fragen, was passiert ist. Warum er so anders ist. Aber ich weiß auch, dass ich die Antwort vielleicht gar nicht hören möchte.

Als er mich entdeckt, löst er sich von der Gruppe und kommt ins Café. „Hey, Callie. Bist du ganz allein?“ fragt er, als wäre nichts. „Ja,“ erwidere ich kühl, „du anscheinend nicht. Deine neue Freundin?“ Mein Blick wandert zu dem Mädchen draußen. Sie entspricht nicht dem, was ich als seinen Typ bezeichnen würde – schwarzes Haar, stark geschminkt. „Naja, nicht Freundin,“ meint er lapidar. „Mehr so... ein Spaß für zwischendurch. Sie heißt... Lea? Leni? Irgendwie so.“ Verwirrt blicke ich ihn an. „Wer bist du?“ frage ich, und er wirkt irritiert. Alles an ihm scheint verändert – sein Auftreten, seine Ausdrucksweise, sein Style, sogar die Leute, mit denen er abhängt. Es ist, als wäre er ein Fremder geworden, in nur einer Woche.

Als er einen Blick auf meinen Ausschnitt wirft, wird mir die Situation endgültig zu viel. „Ich gehe jetzt,“ sage ich fest, „das hier muss ich mir nicht bieten lassen. Und schon gar nicht an einem Tag, der uns so viel bedeuten sollte.“ Entschlossen stehe ich auf, bezahle meine Bestellung und nehme die Suppe für Mason. Johnny stellt sich neben mich an die Theke und fragt unbeeindruckt: „Was ist denn so besonders an diesem Tag?“ Ungläubig sehe ich ihn an. Er hat es wirklich vergessen. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich das Café, mit einem schmerzenden Ziehen in der Brust.

Später, als ich an Masons Zimmertür klopfe, öffne ich sie vorsichtig. Er liegt im Bett und telefoniert leise. „Darf ich reinkommen?“ Er nickt und legt nach einem kurzen Moment auf, während ich mich auf den Stuhl neben sein Bett setze und die Suppe auf den Nachttisch stelle. Doch irgendetwas ist merkwürdig – er zieht die Decke höher, als wollte er etwas verbergen. Als ich die Decke wegziehe, sehe ich sofort das Problem: Sein Verband ist durchtränkt mit Blut. „Ich habe dir gesagt, dass du im Bett bleiben sollst!“ schimpfe ich. Doch er zuckt nur mit den Schultern und murmelt: „Weißt du, ich höre nicht so gerne auf Anweisungen.“

Gut, denke ich, dann muss er eben die Konsequenzen tragen. „Dann such dir jemanden, der das zunäht, ohne Fragen zu stellen. Ach, warte – ich wäre die Einzige, die das tut. Aber nur, wenn du im Bett bleibst.“ Ich stehe auf, um zu gehen, doch seine Stimme hält mich zurück. „Warte… bleib hier. Du kannst das machen.“ Zufrieden lächle ich. Geht doch.

Nachdem ich die notwendigen Utensilien geholt habe, setze ich mich neben ihn auf das Bett und beginne, seinen Verband vorsichtig zu öffnen.

Masons Sicht:
Mit ruhigen, konzentrierten Bewegungen schneidet sie den Verband auf. Als sie die Wunde sieht, runzelt sie die Stirn und beginnt sofort mit der Arbeit. Ich beobachte jede ihrer Bewegungen – wie sie das Betäubungsmittel aufzieht, die Nadel vorsichtig ansetzt und dann die Wunde gründlich reinigt. Sie wirkt so ruhig, so schön, mit den offenen Haaren und den klaren blauen Augen, dass ich sie am liebsten packen und küssen würde. Dieses Gefühl wächst in mir seit einiger Zeit, und es wird immer stärker.

Nachdem sie die Wunde neu vernäht hat, sieht sie zu mir auf. Ich will wegsehen, aber ich kann nicht. „Warum siehst du mich so an?“ fragt sie leise. „Ich weiß es nicht,“ antworte ich wahrheitsgemäß. Und das ist die Wahrheit. Ich habe keine Ahnung, was sie mit mir anstellt – aber es verändert mich.

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