37~ ,,Du hast keine Ahnung wie es ist, ganz alleine zu sein."

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Treffen wir uns in der Mittagspause auf dem Hof? schreibt Mia mir auf WhatsApp.

Ja, bei den Tischtennisplatten, antworte ich knapp und sperre mein Handy. Mein Kopf ist schwer, mein Herz zieht sich zusammen. Mit großer Mühe reiße ich mich zusammen, nicht in Tränen auszubrechen. Man sollte meinen, dass es nach all den Jahren leichter wird. Doch selbst nach einer so langen Zeit sitze ich jedes Jahr am gleichen Punkt fest: Kaum bin ich eine Minute allein, bin ich nur noch am Flennen.

Ich schlage meinen Spind mit einem lauten Knall zu, drehe die Zahlenkombination, um ihn zu sichern, und drehe mich um. Da steht Johnny. Seine Augen sehen mich traurig, verletzt und mitfühlend an. Sein Blick bohrt sich tief in meine Seele und verstärkt den Druck, den ich ohnehin schon spüre.

„Nicht jetzt, Callie. Nicht hier,“ sage ich mir selbst. Heute ist der 10. August. Heute vor genau zehn Jahren sind meine Eltern gestorben. Zehn Jahre, die sich wie ein endloser Alptraum anfühlen. Aber ich verstecke mich, so wie jedes Jahr, hinter einem gezwungenen Lächeln und einer immer bröckelnderen Fassade aus Selbstbewusstsein. Niemand soll merken, wie sehr mich dieser Tag zerreißt.

Würde ich jetzt zusammenbrechen, würden die Leute Fragen stellen. Und die Antworten gehen niemanden etwas an. Jeder hat doch schon genug mit sich selbst zu kämpfen, wieso sollte ich also jemanden mit meinem Schmerz belasten? Normalerweise würden Johnny und ich uns an diesem Tag nach der Schule verkriechen, stundenlang schweigen, die Erinnerungen ertragen und dann zum Friedhof gehen. Doch in diesem Jahr fühlt sich alles anders an. Ich bin wütend auf Johnny. Und auf mich selbst.

Gerade als ich um die nächste Ecke gehen will, um seinem Blick auszuweichen, öffnet sich plötzlich eine Tür, und ich werde von jemandem hineingezogen.

„Was—?“ wollte ich gerade sagen, doch meine Worte werden durch seine Lippen erstickt.

„Das habe ich vermisst“, murmelt Mason, als er sich von mir löst.

Ich blicke ihn nur an. „Wenn du nie Zeit hast, dann kann man sowas auch nicht machen,“ sage ich kühl.

„Ich musste arbeiten.“ Wieder küsst er mich, diesmal fordernder.

Doch ich stoße ihn weg. „Und ich muss jetzt zum Unterricht. Wir sehen uns, Rodriguez.“ Mit einem frechen Grinsen verlasse ich den Raum. Über meine innere Stärke und Beherrschung bin ich selbst überrascht. Meine Mauern sind stärker als erwartet.

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Endlich ist die Schule vorbei. Ich kann es kaum erwarten, zum Friedhof zu gehen und einfach für mich allein zu sein. Keine Menschen, keine Fragen, keine Fassade – nur ich, meine Gedanken und der Schmerz, den ich jedes Jahr aufs Neue ertrage.

„Hallo, Mom. Hey, Dad. Hier bin ich wieder,“ flüstere ich, während ich frische Blumen in die Vase stelle. Ich zupfe die welken Blätter eines kleinen Busches ab und gieße die Pflanzen. Danach lasse ich mich auf die alte Holzbank gegenüber ihrem Grab sinken.

Früher war ich oft hier, fast jede Woche. Doch je älter ich werde, desto schwerer wird es, diesen Ort zu besuchen. Es tut so weh, weil sie all die wichtigen Momente meines Lebens verpassen. Ich brauche sie so sehr, aber sie sind nicht mehr da.

Mit geschlossenen Augen spüre ich den kühlen Wind, der meine Haare durcheinanderweht. Die Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht, doch sie können die Kälte in meinem Inneren nicht vertreiben. Ihr Grab steht an einer alten Eiche, auf einem kleinen Hügel, etwas abseits der anderen Gräber. Es ist ein ruhiger und friedlicher Ort.

„In meinem Leben passiert gerade so viel“, beginne ich, meine Stimme zittert. „Ich könnte euren Rat so dringend gebrauchen. Oder einfach nur eine Umarmung. Ich vermisse euch so sehr.“

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