»96«

4.4K 292 59
                                    

[Taehyung]

Ich schaute Jungkook vorerst nur an, seufzte leise und senkte den Blick, denn eigentlich dachte ich, alles, was ich ihm bis zum heutigen Tag erzählt hatte, genügte.

„Vielleicht acht Jahr alt war ich, mehr aber nicht, als meine leiblichen Eltern samt meiner Geschwister mir genommen wurden, während ich in der Schule saß. Sie wurden auf eine so brutale Weise aus meinem Leben gezogen, gerissen und nie wieder bekam ich sie nach diesem Tag zu sehen", fing ich an zu erzählen, zog den Jüngeren dabei näher an mich.

„Zu dem Zeitpunkt saß ich im Matheunterricht, wir schrieben einen kleinen Mathetest, als ein Mann, komplett gekleidet in schwarz, welcher zu Anfang auf uns Kinder sehr bedrohlich wirkte, in den Raum kam und mit meiner Lehrerin nach draußen ging. Sie redeten draußen relativ lang, weshalb wir langsam unsicher wurden, was los sei und das, obwohl wir nur Kinder waren, die solche Dinge ohnehin nicht verstanden. Als meine Lehrerin dann wieder reinkam, ohne den Mann, sagte sie mir, er sei ein Verwandter von mir und ich solle zu ihm nach draußen gehen, weil er hier sei, um mich abzuholen."

Jungkook hatte seinen Blick konzentriert auf mich gerichtet, verzog dabei das Gesicht dann ein wenig. „So werden Kinder bis heute immer entführt", murmelte er.

„Versteh mich nicht falsch, er war ein guter Mann und letztendlich war er wie ein Vater für mich, ich hatte ihn gern, aber hasste ihn gleichzeitig auch. Er zog mich all die Jahre lang auf, alleine, und gab mir eine, zwar schwierige, aber dennoch schöne Kindheit."

„Was ist denn jetzt mit deiner leiblichen Familie passiert?", fragte der Jüngere und schien dabei Angst zu haben, mir diese Frage zu stellen.

„Vielleicht sollte ich beim Anfang anfangen. Meine Eltern hatten kaum Geld, hungerten selbst, damit wir Kinder es nie tun würden, arbeiteten überall wo sie nur konnten, nahmen jedes Geld an, für noch so viel Arbeit, damit meine Geschwister und eine schöne Kindheit haben konnten, obwohl es nie nötig für mich war, viel zu haben, ich wollte nur bei meiner Familie sein und war damit wunschlos", erklärte ich und merkte schon, wie mir komisch warm um die Brust wurde, ein Stechen in meiner Brust. „Meine Mutter arbeite für ein reiches Ehepaar, putzte das große Haus ganz allein und wurde bestraft, als sie dabei erwischt wurde, wie sie ein halbes Brötchen nahm, nachdem sie bereits acht Stunden gearbeitet hatte. An diesem Tag kam sie mit einer Wunde am Kopf und mehrere Blutergüsse an den Armen zurück Nachhause. Der Mann, der sie bezahlte, scheute nicht davor, meiner Mutter gegenüber handgreiflich zu werden, wenn sie nicht tat was er wollte", erkläre ich, meine Stimme relativ leise. „Deiner Blick zur Folge, verstehst du ganz genau, was ich damit auch meine. Er tat es, obwohl er eine Frau hatte."

Jungkooks Augen waren glasig, jedoch weinte er nicht, während er leicht an mir lehnte und mir weiterhin mit voller Aufmerksamkeit zuhörte.

„Ich will diesen Mann töten!", meinte der Braunhaarige, weshalb ich ihn leicht lächelnd anschaute, den Kopf schüttelte.

„Dieser Mann lebt schon lange nicht mehr, denn auch mein Vater litt stark darunter, was seiner Frau passierte, konnte das dann nicht länger mit anschauen, weshalb er in einer Nacht zu dem Haus ging, in dem sie arbeitete, getrieben von der Wut gegenüber der reichen Familie und der Liebe zu meiner Mutter. Es war nicht seine Absicht zu tun, aber er konnte ja nicht wissen, dass dieser Mann Probleme mit seinem Herz hatte und daran sterben würde, sobald mein Vater kam, eigentlich nur um ihn zu erschrecken, damit er nie wieder Hand an diese unschuldige Frau legen würde. Nun, da der Vater tot war, hatte uns die Frau des reichen Mannes ins Visier genommen, hetzte allerlei böse Leute auf uns und wir waren ständig auf der Flucht. Dann kam der besagte Schultag, an dem ein Mann komplett in schwarz zu mir in die Schule kam, mich abholte und letztendlich erzählte, dass diese Frau meinen Bruder, meine Schwester und meine Eltern allesamt tötete, ich daher nirgends mehr sicher war, als bei ihm. Meine Eltern kannten diesen Mann nicht, er war lediglich Feind dieser Familie, aber letztendlich der Grund, weshalb ich mich an der Frau rächen konnte, sie sterben sah, obwohl ich gerade einmal zwölf Jahre alt war, als es geschah."

Mein Freund fand es nie gut, wenn ich mit in die Tode von anderen involviert war, aber gerade jetzt schien er damit nicht länger ein Problem zu haben.

„Sie hatten einen Jungen, er war jünger als ich, landete dann in einem Waisenhaus, weil die Angestellten des Mannes, der mich aufnahm, ihn nicht töten wollten. Dort beobachtete ich ihn, bis ich fünfzehn Jahre alt war, da verschwand er zum ersten Mal, kam wieder und ich konnte ihn weiterhin beobachten, noch drei Jahre, dann verschwand er komplett. Der Mann, der mich großzog, sagte mir nichts über diesen Jungen, keinen Namen, kein Alter, denn er befürchtete, ich würde schon ein Kind jagen und dieses töten, obwohl ich doch selbst so jung war. Ohne, dass ich noch Familie hatte, schuftete ich, ignorierte das Gesetz und tötete Menschen, tat schreckliche Dinge und machte viel Geld, ich gewann alles, was ich jemals wollte und hätte meinen Eltern und meinen Geschwister ein wunderschönes Leben bieten können, aber sie lebten nicht mehr. So gesehen war ich da noch kein Teil der Mafia, diese gab es nämlich noch gar nicht, denn sie bildete sich letztendlich aus uns heraus, wir töteten aber keine Unschuldigen, sondern nur die, die lebten, als seien sie der Teufel."

Einzelne Tränen bahnte sich den Weg über seine Wangen, er schluchzte. Sanft strich ich diese weg, als ich meine Hand an seine weiche Wange legte.

„Es tut mir so leid für dich", murmelte Jungkook leise und weint nun nur noch stärker. „Das tut mir alles so leid!"

„Wieso denn? Du hast mit der ganzen Sache nichts zu tun, es ist nicht deine Schul-", sagte ich, dann realisierte ich, ebenfalls, weil ich mich an den Familiennamen erinnerte.

Sofort drückte ich Jungkook an mich, ich presste ihn regelrecht an meine Brust als würde er jeden Moment aus meinen Armen fallen, während er vollkommen aufgelöst da saß, stark zitterte und es nun selbst ebenfalls realisierte und verstand. Er erinnerte sich.

„Doch, es tut mir alles so leid, weil es mein Vater war, der das alles tat."

---

slut ᵛᵏᵒᵒᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt