Eins: Moritz

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Samstag 07.02.2019     22.05 Uhr

Moritz Holin


Er hatte ihr absichtlich nichts von dem Spiel erzählt. Sie sollte nicht kommen. Einmal sollte sie nicht dabei sein. Sollte sich nicht über seine Teamkameraden kaputtlachen, die Gegner schlecht machen oder völlig übertrieben jubeln, wenn er ein Tor schoss.

Einmal wollte er nicht der Vorzeigefreund von Sophia Blackwolf sein, sondern Moritz. Einfach nur Moritz.

Du bist gestorben. „Scheiße!" Wütend knallte er seinen Controller auf den Tisch. Nichts bekam er hin. Seine Noten waren schlecht, seine Beziehung war nicht echt. Im Fußball wurde er gerade durch einen neuen Star ersetzt, und kein einziges Mal hatte er es geschafft bei diesem Spiel zu gewinnen. Jedes Mal war er gestorben.

Er war eine Niete und er wusste es. Statt sich selbst aus seiner Lage zu befreien, statt sich aus seinem Selbstmitleid zu retten, versank er immer weiter in ihm.

Normalerweise beruhigte es ihn, eine Runde zu zocken, doch heute nicht. Heute war er zu aufgewühlt und zu zocken half gar nichts, denn auch dort war er ein Loser.

Auch einer seiner Freunde, mit dem er bis eben gespielt hatte, hatte ihn als seinen Partner aufgegeben. Nun spielte dieser Freund lieber alleine, als mit Moritz.

Er schaltete die Konsole aus und schaute auf die Uhr. 22.06 Uhr.

Wahrscheinlich war es besser, wenn er jetzt schlafen ging, er hatte doch morgen das Spiel.

Aber er konnte noch nicht schlafen. Stattdessen schaute er auf sein Handy.

Na toll, Sophia hatte ihm geschrieben. Von der wollte er eigentlich gerade nichts hören.


Sophia Blackwolf:

Warum hast du mir nichts von deinem Spiel erzählt. :( Und zu meinem Kleid hast du auch nichts gesagt.


Moritz Holin:

Hab's vergessen. Sorry. Kommst du? Und natürlich ist das Kleid wunderschön. Welche pinken Blumen wünschst du dir dazu?


Es war besser, wenn er sie dies fragte. Sonst würde er noch die Falschen kaufen.


Sophia Blackwolf:

Komme erst zur zweiten Halbzeit. Musste ja irgendwie rauskriegen, wann das Spiel ist. ;) Und am liebsten hätte ich pinke Rosen. Aber auch nur, wenn diese genau die gleiche Farbe wie mein Kleid haben. Die Frau im Laden hat mir extra noch einen Streifen Stoff mitgegeben, damit ich ihn dir geben kann. So kannst du abgleichen, ob der Farbton passt.


Moritz Holin:

Aha.


Sophia Blackwolf:

AHA? Das ist alles? Freust du dich nicht?


Moritz Holin:

Doch, doch. Das mit den Blumen ist super. Ich werde nur morgen wahrscheinlich nicht spielen.


Sophia Blackwolf:

Warum das? Du bist doch mega gut.


Moritz Holin:

Ne, die haben einen neuen Star für ihr Team. Tim So und so.


Sophia Blackwolf:

Ach ja, der hat mit mir Englisch. Da hat er sich aber die ganze Stunde lang nicht getraut, den Mund aufzumachen. Naja, du bist beim Fußballspielen bestimmt besser. Beeey bis morgen. :)


Die hat gut reden, dachte Moritz. Sie sitzt während des Spiels nur rum und schreit, wenn ein Tor fällt. Sie wusste nicht, wie viel Arbeit hinter seinem Sport steckte. Wie hart er dafür trainierte, Mannschaftskapitän zu sein.

Sie wusste überhaupt nichts über ihn. Das Einzige, was sie interessierte war, ihn in der Öffentlichkeit zu küssen, damit alle sahen, wie toll sie zusammenpassten. Seine Hand zu halten und Komplimente dafür zu erhalten.

Diese oberflächliche Fotze!

Doch es hatte auch Vorteile mit ihr zusammen zu sein, und das war wohl auch der Grund, warum Moritz nicht schon längst Schluss gemacht hatte.

Er war beliebt und das half ihm in der Schule weiter. Er brauchte nie seine Hausaufgaben zu machen, denn andere machten sie für ihn. In Klausuren durfte er bei seinen Mitschülern abschreiben. Auch beim Fußball brachte ihn vor allem diese Beziehung dazu, der Kapitän zu sein.

Oder zumindest vermutete er das, denn zwei Tage nach der Bekanntgabe ihrer Beziehung wurde er zum neuen Kapitän erklärt.

Moritz interessierte sich nicht für die Zwei-Monatsgrenze, aber ihn interessierte seine Karriere, und wenn eine Fake-Beziehung ihm dabei half, beim Fußball aufzusteigen, würde er sie nicht aufgeben.

Es klopfte an seiner Tür. Schnell packte er das Handy weg. Natürlich war er alt genug, selbst zu entscheiden, wann er ins Bett ging, aber wenn gleich einer seiner Eltern die Zimmertür aufmachte, und er im Dunkeln an seinem Handy war, machte das einfach keinen freundlichen Eindruck.

„Bin noch wach, was ist los?", fragte er leise.

Seine Mutter streckte den Kopf ins Zimmer hinein. „Dein Vater und ich gehen jetzt ins Bett. Gute Nacht."

Obwohl diese Geste wohl sehr unnötig war, immerhin musste seine Mutter einen Umweg zu seinem Zimmer laufen, wusste er sie trotzdem zu schätzen. Da seine Eltern nicht viel Zeit für ihn hatten, genoss er jede Sekunde mit ihnen.

„Gute Nacht Mum. Sag Dad auch eine gute Nacht von mir."

„Das werde ich ihm ausrichten Liebes." Und mit diesen Worten schloss sie die Tür wieder.

Nun hatte sich Moritz ein wenig beruhigt. Die sanfte Stimme seiner Mutter hatte Wunder bewirkt. Wie früher, als er von Albträumen aufgewacht war und seine Mutter ihn mit ihrer seichten Stimme wieder zum Einschlafen gebracht hatte. Der Klang erzeugte ein angenehmes Gefühl von Leere in seinem Kopf. Plötzlich gab es da nicht mehr Sophia, das morgendliche Spiel, seine schlechten Noten und seine Unfähigkeit beim Videospiele spielen. Es gab nur noch die angenehme Leere, der er sich ganz hingab.

Endlich gelang es ihm einzuschlafen. Er konnte sich im Nachhinein noch nicht einmal an seine Träume erinnern. Da war einfach Nichts gewesen und das für fast acht Stunden. Bis ihn sein Wecker um 8:00 Uhr aus seinen Träumen riss, konnte er sich den Kopf frei machen. Und so startete er am nächsten Tag doch ausgeruht und voller neuer Energie. 

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